Derbys und David-Goliath-Partien
Christoph Ruf philosophiert darüber, wie man die Liga und Pokalwettbewerbe spannender machen könnte
Wahrscheinlich ist es eine gute Idee, einen längeren Text so anfangen zu lassen wie einen Fernsehkrimi. Es muss gleich etwas passieren: Schüsse, Tote, Verfolgungsjagden, so was. Deswegen hier gleich mal ein paar Fußballknaller: Leipzig kontra Wolfsburg, HSV kontra Nürnberg, Heidenheim kontra Leverkusen, Kiel kontra Augsburg.
Okay, ich höre schon auf, es ist schließlich nicht gut, wenn der morgendliche Puls gleich in astronomische Höhen schnellt. Aber es gibt auch keinen Grund zur Aufregung. Denn das, was ich Ihnen gerade vors Frühstücksbrötchen geknallt habe, waren vier der acht Pokal-Achtelfinalpartien, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) am vergangenen Donnerstag genau terminiert hat.
Wenn Sie die Aussicht auf den 5. und 6. Februar auch nicht so recht zu elektrisieren vermag, dann sind Sie wahrscheinlich nicht alleine. Auch in der Bundesliga sind Sie das nicht. Vorausgesetzt, Sie schlafen nicht in Bettwäsche des FC Augsburg, dürfte es Ihnen egal sein, wie dessen Heimspiel gegen Frankfurt verläuft. Und für die Gefühle, die die Aussicht auf Wolfsburg gegen Leverkusen in einem weckt, findet sich auch unter 1000 Adjektiven nichts, das passt.
Falls Sie am vergangenen Wochenende etwas anderes zu tun hatten, als sich lange mit der Partie Hoffenheim gegen Augsburg oder Düsseldorf gegen Hertha zu befassen, könnte ich das verstehen. Und das sind nur zwei der neun Bundesligabegegnungen, die an diesem Spieltag immerhin noch Dortmund gegen Bayern zu bieten hatte. Um dieses Paarung zu sehen, wird man nun allerdings wieder ein halbes Jahr warten müssen. Einen Krimi mit dieser Dramaturgie würde niemand anschauen. Die Fußball-Bundesliga hat zwar immer noch viele Millionen Zuschauer. Doch ich fürchte, das hat viel mit der Macht der Gewohnheit zu tun. Den Sonntagskrimi schalten ja viele auch vor allem deshalb ein, weil es gerade 20.15 Uhr ist.
Dass es eine Übersättigung an den klassischen deutschen Wettbewerben gibt, kann man eigentlich kaum von der Hand weisen, zumal vielerorten die Zuschauerzahlen rückläufig sind. Doch wie man das Ganze in der Breite retten kann, wird nicht debattiert. Stattdessen gibt es eine offenbar vor allem im Geheimen geführte Debatte über die baldige Einrichtung einer sogenannten Super League, in der dann die Reichen und Schönen Europas als »gated community« unter sich bleiben dürfen.
Dass man mittlerweile weiß, wie konkret diese Planungen waren, hat man der Recherchearbeit des »Football leaks«-Teams zu verdanken, nebst vielen erschreckenden Erkenntnissen über die Machenschaften der großen Player im europäischen und weltweiten Fußball. Dass Gianni Infantino immer noch Präsident des Fußballweltverbandes FIFA ist, sagt alles. Von oben, so viel steht fest, wird keine Maßnahme kommen, die einen faireren Wettbewerb sicherstellt oder etwa Mainz 05 mehr nutzt als Bayern München. Aber das ist ja kein Grund, nicht selbst einmal ein bisschen herumzuspinnen.
Ich könnte mir vorstellen, dass sowohl die Liga als auch die Pokalwettbewerbe spannend sein könnten, denn es gibt sie ja durchaus, die Spiele, die die Leute elektrisieren. Es sind zum einen die Derbys, zum anderen die David-gegen-Goliath-Partien. Wie wäre es also, wenn man dem Amateurlager einen Modus zugesteht, der dafür sorgt, dass die Kleinen nicht schon im September rausfliegen? Auch im März würden die Leute lieber Rot-Weiß Essen gegen Schalke sehen als Wolfsburg gegen Hoffenheim - nur diesmal im Pokal statt in der Liga. Und überhaupt: Braucht es die Bundesliga als bundesweites Dach? Oder sehen die Leute nicht lieber die Derbys? Waldhof gegen Lautern? Dortmund gegen Schalke? Werder gegen HSV? Ich glaube, eine erste Liga, die in vier Staffeln zerfällt - meinetwegen mit Playoffs zur Ermittlung des deutschen Meisters - hätte mehr Fans als das gegenwärtige Modell.
Interessant fand ich allerdings auch fernab von jeder Strukturreform am letzten Wochenende die Partie Freiburg gegen Mainz. Nicht wegen des unterhaltsamen Spiels, sondern wegen dreier Transparente. Die Freiburger Ultras präsentierten »Thanks to John and the football leaks team«, »Freunde des Sports, vereinigt euch« und »Wir holen uns den Fußball zurück«. Offensichtlich gibt es in deutschen Stadien also doch noch Leute, die nach den Football-leaks-Enthüllungen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen wollen. Das beredte Schweigen des offiziellen Fußballs hatte das ja eher erahnen lassen.
»Christoph Rufs Buch «Fieberwahn, wie der Fußball seine Basis verkauft» hat bei der Wahl zum «Fußballbuch des Jahres 2018» gerade den zweiten Platz belegt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.