Verfassungsschutz enttarnte V-Mann »unfreiwillig selbst«

»Vertrauensperson« des Verfassungsschutzes arbeitete zwei Jahre in linker Göttinger Gruppe mit

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Göttinger Gruppe »Basisdemokratische Linke«, ein lokaler Ableger der »Interventionistsichen Linken« hat nach eigenen Angaben einen Spitzel des niedersächsischen Verfassungsschutzes enttarnt. Der 24-Jährige sei als sogenannte Vertrauensperson für den Geheimdienst tätig gewesen, teilte die Organisation am Dienstag mit. Unter seinem Klarnamen habe er über beinahe zwei Jahre linke Aktivistinnen und Aktivisten in der Universitätsstadt ausgeforscht.

Für die Enttarnung habe der Verfassungsschutz die nötigen Hinweise »unfreiwillig selbst« geliefert, schreibt die »Basisdemokratische Linke« in einer Mitteilung. Im Zuge eines Auskunftsersuchens seien versehentlich Dokumente mit »vertraulichen Informationen« herausgegeben worden, die der Öffentlichkeit normalerweise vorenthalten blieben. Diese Unterlagen hätten es ermöglicht, den V-Mann zu identifizieren.

Demnach war der Enttarnte bereits während seiner Schulzeit an einer Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen politisch interessiert. Nach seinem Abitur 2015 sei der mutmaßliche Spitzel nach Göttingen gezogen, wo er zunächst bei der linken Jugendgruppe »solid/Your Turn« aktiv war. Über einen öffentlichen Einstiegsabend sei er im Herbst 2016 in der »Basisdemokratischen Linken« aktiv geworden.

Die »Basisdemokratische Linke« entstand im November 2013 als Zusammenschluss der Basisgrupppen Germanistik und Geschichte an der Universität Göttingen sowie verschiedener Einzelpersonen. Themenfelder sind vor allem Antifaschismus, Antirassismus und Unipolitik. Der V-Mann soll sich zunächst mit antifaschistischen, später auch mit hochschulpolitischen Themen befasst haben. Der mutmaßliche Spitzel konnte am Dienstagnachmittag nicht von »nd« erreicht werden.

»Während dieser Zeit nahm er sowohl an antifaschistischen Gegenprotesten als auch an bundesweiten Treffen teil«, schreibt die »Basisdemokratische Linke«. In inhaltlichen Diskussionen habe er allerdings »so gut wie nie Stellung« bezogen, stattdessen habe er häufig »Strukturaufgaben« übernommen. In der Gruppe sei er »sozial kaum angebunden« gewesen: »Freundschaftliche Verhältnisse zu anderen Mitgliedern der Gruppe interessierten ihn nicht sonderlich.«

»Der Verfassungsschutz hat über den V-Mann zwei Jahre lang in unseren persönlichsten Bereichen herumgeschnüffelt«, sagte Lena Rademacher von der »Basisdemokratischen Linken«. Den Akteninhalten ließe sich entnehmen, dass antifaschistisches und politisches Verhalten akribisch beim Verfassungsschutz gesammelt werde, »um im weiteren Verlauf unser Engagement zu kriminalisieren«. Entmutigen lassen will sich die Gruppe aber nicht. »Wir setzen uns weiterhin für unser Ziel einer offenen Gesellschaft, einer Gesellschaft der Vielen ein«, so die Sprecherin. Ihre Gruppe will den Verfassungsschutz abschaffen und weiter Spitzelaktionen des Inlandsgeheimdienstes aufdecken, wenn möglich.

Das Landesamt für Verfassungsschutz teilte auf »nd«-Anfrage lediglich mit, dass die Gruppierung (gemeint ist die »Basidemokratische Linke«) im Jahresbericht 2017 der Behörde aufgeführt sein. Zu »operativen Angelegenheiten« würden keine Auskünfte erteilt, sagte Sprecher Frank Rasche.

Die Überwachung linker Organisationen in Göttingen ist nicht neu. Mindestens bis 2015 sammelte der Staatsschutz in einer Papierakte Namen, Adressen, Religionszugehörigkeit, Arbeitsstelle und Social-Media-Profile von linksorientierten Göttinger Bürgern. Knapp 30 Betroffene haben dagegen geklagt. Im April dieses Jahres räumte die Polizeidirektion Göttingen ein, dass diese Akten niemals hätten angelegt werden dürfen. Bereits Ende der 1970er Jahre schleuste das niedersächsische Landeskriminalamt zwei Spitzel in den Arbeitskreis gegen Atomenergie ein. Einige Jahre später wurden die Namen, Daten und Kontakte zahlreicher Aktivisten im Spurendokumentationssystem (Spudok) der politischen Polizei registriert.

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