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Kleider machen keine Leute
Über unten am Beispiel des Rappers Jan Delay.
Irgendwann merkte der Rapper, dass es nicht cool ist, wie ein FDP-Praktikant herüberzukommen. Also löschte er, was er geschrieben hatte. Dann wollte er sich erklären - und machte es noch schlimmer: Der als Jan Delay und auch als etwas links bekannte Musiker Jan Eißfeldt hat Zoff - »Beef« hieße es in seinem Gewerbe - mit einem angefangen, gegen den er nicht gewinnen kann, obwohl der doch schon tot ist: Pierre Bourdieu.
Es begann, als jüngst der Journalist Christian Baron auf Twitter das Schlagwort »unten« lancierte. Wie »metoo« und »metwo« Schilderungen sexistischer und rassistischer Übergriffs- und Abwertungserfahrungen sammelten, macht nun dieser Hashtag die Ausgrenzung von Kindern der Unterklasse anekdotisch sichtbar: Erzählt wird von den Blicken, die man abbekam, wenn man mit der Leistungsempfängermutter bei dem einen Pizzamahl erwischt wurde, das man sich monatlich leistete: Dafür habt ihr also Geld?
Es geht darum, wie man sich krank stellte, weil der Schulausflug zu teuer war. Wie man schlechte Noten schrieb, weil keiner half und der Lehrer sagte, das habe doch sowieso keinen Zweck. Wie man sich schämte, Freunde einzuladen und wie man, wenn man es denn an die Uni schaffte, dort trotz allen Lesens nie mitreden konnte.
Der Hashtag hat Fahrt genug, um Medien von »Morgenmagazin« bis »Zeit« zu erreichen. Auch Sahra Wagenknecht, Katja Kipping und eben jener Jan Eißfeldt sahen sich zu Statements veranlasst. Letzterer verkündete, es sei »affig und vermessen«, unten »wie metoo und metwo zu inszenieren«. Er habe »all die Stories selbst erlebt - ja, und?« Er habe »den Arsch hochgekriegt, statt rumzujammern«, nun könne er »100 Stories zu oben schildern«, was den »Betroffenen von metoo und metwo nicht« möglich sei. Im erwähnten zweiten, etwas jüngeren Posting fehlt immerhin das Arsch hochkriegen. Doch weiter behauptet er, diese Dinge »zu 80 Prozent« erlebt, aber »keinen großen Schaden genommen« zu haben. Und beharrt darauf, es sei nicht »genauso schlimm, betroffen von unten zu sein wie von metoo oder metwo«.
Nun lässt sich leicht herausfinden, dass Eißfeldt kaum Armutserfahrungen haben kann, denn über seine Mutter gibt es einen Wikipediaeintrag: Die Fotokünstlerin Dörte Eißfeldt fing 1978, zwei Jahre nach Jans Geburt, als Kunstlehrerin an einem Gymnasium an. 1981 verließ sie die Schule, hatte aber viele Stipendien, Ausstellungen und auch Lehraufträge, bis sie 1990 eine Professur antrat.
Das ist ihr gegönnt, doch hat diese Biografie mit »unten« nichts zu tun. Selbst wenn es zwischen Lehramt und Professur der Mutter und in erfolglosen Phasen des Vaters - des Fernsehautoren und Musikers Theo Janßen - mal weniger Geld gab, war man anders »arm« als die, um die es jenem Hashtag geht: Nie perspektivlos, denn die Mutter konnte notfalls an die Schule zurück. Man war nie isoliert und nie verachtet, sondern höchstens als etwas bunt verschrien. In diesem Bildungsmilieu lernte Jan, was er brauchte: als Künstler zu sprechen, wie man netzwerkt, was »Geschmack« bedeutet. Er sammelte, was Pierre Bourdieu kulturelles Kapital nennt: Gäbe es denn Jan Delay, wäre Theo Janßen Hilfsarbeiter gewesen und Dörte Eißfeldt Putzkraft? Eins zu null für den Soziologen.
So weit, so peinlich. Doch erwähnenswert ist Eißfeldts Wortmeldung nicht nur, weil man nun etwaige Fanverhältnisse zu dem Musiker evaluieren könnte, sondern weil ein Argument seiner Postings weit verbreitet ist. Ist das, wovon unten spricht, weniger prägend als die Themen von metoo und metwo? Wie verhalten sich Geschlecht, Ethnizität und Klasse als Kriterien sozialer Hierarchisierung zueinander - und worin könnten sich die drei Merkmale kategorial unterscheiden?
Vielleicht bei der Wahrscheinlichkeit, zum Opfer direkter Gewalthandlungen zu werden? Hassgetriebene Gewalt gegen »Assis« als solche scheint sich in zwei biografischen Sondersituationen zu konzentrieren: Gehäuft tritt sie in der Adoleszenz auf - handgreifliches Mobbing etwa an Schulen hat oft einen klassistischen Hintergrund. Und wenn einem »Proll« oder »Assi« die Deklassierung so sehr anzusehen ist, dass er als »Penner« gilt, lebt er gefährlich. Über beide Formen von Klassengewalt gibt es kaum Daten.
Wer aber meint, Geschlecht und Hautfarbe seien schon deshalb nachhaltigere Zuschreibungsanker, weil sie anders als Klasse körperlich sichtbar seien, kann sich einmal überprüfen: Erkennt man nicht schon aus Entfernung, welcher Eltern Kind da kommt? Wenig ist uns so gründlich auf den Leib geschrieben wie die Schichtenbindung: Der Habitus als Summe klassenspezifischer Kulturvorlieben - des »Geschmacks« - ist nicht nur oberflächlich etwa darin sichtbar, wie sich Menschen kleiden, sondern auch als Hexis: Man erkennt den Hintergrund eines Menschen daran, wie er sich bewegt, wie er gestikuliert und sich hält. Augenhöhe mit Anzugträgern ist durch den Kauf eines teuren Stöffchens noch lange nicht erworben. Kleider machen nicht gleich Leute - und Bourdieu erhöht auf zwei zu null.
Es ist weder angezeigt noch Intention von unten, Klassismus gegen Sexismus und Rassismus auszuspielen. Dies geschieht dann, wenn im scheinreflektierten Reden über »Privilegien« der »weiße Mann« per se als dominantes Wesen gilt. So sicher ein weißer Bürgersohn seiner Schwester vorgezogen wird, so deutlich überlegen sind deren Chancen gegenüber einem Jungen von weit unten - was nicht heißt, dass sie nicht dessen Opfer werden könnte. Während ein migrantisches Unterschichtenkind gleich welchen Geschlechts diesem weißen deklassierten Jungen den Vortritt lassen muss, wird dieser von einer nicht-weißen, womöglich queeren Ingenieurstochter überflügelt. Diese wiederum wird sich mancherorts nicht angstfrei bewegen - während für den armen weißen Knaben die Stoppschilder woanders stehen.
Um solche stets beweglichen Situationen von Überordnung und Subordinierung zu erfassen, wurde das instruktive Bild der »Intersection« - der Kreuzung - geprägt. Zuweilen scheint es aber, als sei diese dynamische Metapher als »Intersektionalismus« zu einem statischen Jargon geronnen. So erklärt sich vielleicht auch, wie Jan Eißfeldt ungestraft und schon vor Jahren ein ironiefreies Spottlied über »den Kevin und die Sandy und die Mama und den Papa« anstimmen konnte, die »alle viel und gerne ›happa-happa‹« machten und, weil »zu faul zum Schälen« von Gemüse, immer fetter und hässlicher würden: Man stelle sich vor, er textete auf diesem Niveau über »typische« Frauen oder Migranten.
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