Vor dem Zusammenbruch

Die militärischen Auseinandersetzungen mit den Palästinensern im Gazastreifen provoziert eine politische Krise in Israel

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie immer samstags hatte Israel auch dieses Mal in den Feiertagsmodus geschaltet: Die Religiösen zog es in die Synagogen, die Säkularen in die Cafés, Kneipen und Clubs der Städte. Doch im Hintergrund wurde gearbeitet. Schon am Freitag hatten die Oppositionsparteien ihre Aktivisten mobilisiert, Strategiesitzungen wurden abgehalten. Es gilt, die Wahlplattformen auf den neuesten Stand zu bringen.

Denn Israels Regierung steht vor dem Zusammenbruch: Nachdem zu Wochenbeginn öffentlich wurde, dass der Einsatz einer Eliteeinheit des Militärs im Gazastreifen fehl geschlagen war und daraufhin Hamas und Islamischer Dschihad hunderte Raketen auf Israel abfeuerten, war Verteidigungsminister Avigdor Liebermann zurück getreten. Die offizielle Begründung: Regierungschef Benjamin Netanjahu weigerte sich, eine Bodenoffensive anzuordnen, stattdessen einen von ägyptischen Vermittlern ausgehandelten Waffenstillstand akzeptierte.

Damit nahmen die Dinge ihren Lauf: Naftali Bennett, Vorsitzender der der Siedler-Bewegung nahestehenden Partei »Jüdisches Heim«, der bislang als Bildungsminister versuchte, die Lehrpläne dem Narrativ der israelischen Rechten anzupassen, forderte das Verteidigungsressort für sich. Netanjahu lehnte das jedoch ab: Obwohl beide gemeinsam in der Koalition sitzen, ist Netanjahu nicht gut auf Bennett zu sprechen, seit dieser 2013 in einem Interview gesagt hatte, Netanjahus Ehefrau Sara habe ihm »Anschauungsunterricht in angewandtem Terrorismus« erteilt.

Israels Opposition, aber auch die Regierungen Ägyptens und Jordaniens nahmen die Ablehnung zunächst mit Erleichterung zur Kenntnis: Bennett, der vor seinem Aufstieg zum Chef von Jüdisches Heim einige Jahre lang Vorsitzender der Siedlerlobby Jescha war, gilt als Befürworter einer Wiederbesetzung des Gazastreifens und einem erneuten Siedlungsbau dort. Israel hatte 2005 sämtliche Siedlungen in dem dicht bevölkerten Landstrich geräumt. Zudem fordert Bennett auch vermehrte Militäreinsätze auf dem Gebiet der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland.

Dennoch äußert man vor allem im Büro des ägyptischen Präsidenten Abdelfattah al Sisi Frust und Unverständnis über die Regierungskrise. Ein Sprecher al Sisis fordert, Netanjahu müsse auch weiterhin dafür sorgen, dass rund um Gaza kein Stillstand entsteht. »Die Suche nach nachhaltigen Lösungen darf nicht durch die innenpolitische Probleme behindert werden.«

Die Befürchtung, dass es mitten im israelischen Wahlkampf zu einer weiteren Konfrontation mit den palästinensischen Kampfgruppen im Gazastreifen kommen könnte, ist groß: Militärische Entscheidungen werden in Israel von einem »Sicherheitskabinett«, einem inneren Kreis aus Ministern, getroffen. Bricht die Koalition, kann dieses Gremium erst dann wieder funktionieren, wenn neue Minister ernannt wurden. Theoretisch zumindest, denn die Neuen müssten erst in die Interna, die besonderen Geheimhaltungsvorschriften unterliegen, eingearbeitet werden.

Zur Zeit versucht Netanjahu noch, den Bruch der Koalition so weit wie möglich hinaus zu zögern. Gaza sei einer der Gründe dafür, sagen Mitarbeiter seiner Partei, dem konservativen Likud. Zudem brauche man Zeit, um potentielle Partner für die nächste Regierung ausfindig zu machen. Denn auch wenn Netanjahu bereits seit 2008 Regierungschef ist und der Likud die größte Fraktion stellt: Mehr als 23,4 Prozent bekam man unter seiner Führung nie. Bislang bestand die Koalition aus sechs konservativen, rechten und religiösen Parteien, die ideologisch sehr verschieden sind. Zwar hätte dieser Block Umfragen zufolge auch nach Neuwahlen eine Mehrheit. Aber: Gleich drei der Parteien, darunter Liebermanns Jisrael Beitenu und die beiden religiösen Parteien, tänzeln gefährlich nah an die 3,25 Prozent-Hürde heran.

Doch nicht nur der Likud sucht neue Partner. Auch Ja‘ir Lapid, Chef der zentristischen Zukunftspartei, die bislang in der Opposition sitzt und in den Umfragen derzeit gut dasteht, führt aktuell eine Vielzahl von Gesprächen mit anderen Parteien. Das Ziel sei, die Ära Netanjahu ein für allemal zu beenden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.