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  • LINKE und Einwanderungsgesetz

Menschenrecht als Norm

LINKE debattierte über ihren Entwurf zu einem Einwanderungsgesetz / Nur Befürworter waren erschienen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.

Es verstehe sich für Linke von selbst, dass die Menschenrechte Vorrang haben müssten vor den Interessen der Ökonomie, sagt Udo Wolf. »Eine Linke, die das internationale Menschenrecht erkämpfen will, kämpft zugleich um soziale Gerechtigkeit.« Und das natürlich weltweit, nicht nur im eigenen Land. Die Zustimmung im Saal ist ihm sicher. Der Vorsitzende der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus hat, so scheint es, eine einfache und allgemein anerkannte Wahrheit ausgesprochen. Doch so einfach ist es dann wohl doch nicht.

An diesem Wochenende diskutiert die Linkspartei über den Entwurf eines Einwanderungsgesetzes, den die Fraktionsvorstände der Partei in den Landtagen in Ostdeutschland in Auftrag gegeben haben. Drei Jahre ist es her, dass die Debatten begannen. Bis heute findet das Ergebnis keine einhellige Zustimmung. Denn darin summiert sich jener Satz aus dem Parteiprogramm zu vier inhaltlichen Säulen, der ebenfalls Anlass zum Streit ist: »Wir fordern offene Grenzen für alle Menschen.«

Immer mal wieder bricht sich die Empörung Bahn in der emotional geführten Debatte hier in der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht, zu der die Fraktionen der Partei in Bund und Ländern, also die sogenannte Fraktionsvorsitzendenkonferenz, und der Parteivorstand, geladen haben. Die Empörung richtet sich gegen Sahra Wagenknecht. Manchmal wird der Name ausgesprochen, manchmal nach der Harry-Potter-Methode mit »Ihr wisst schon, wer« umschrieben. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion und ihre Anhängerschaft verweigern sich der Forderung nach offenen Grenzen und unterscheiden zwischen Geflüchteten in Not und Arbeitsmigranten. Sie halten nationale Grenzen nicht nur nicht für überholt, sondern für ein legitimes Instrument des Staates zur Regulierung von Einwanderung. Das nehmen die meisten Teilnehmer der Konferenz Wagenknecht übel. Zudem werfen sie ihr vor, sich einer Debatte zu entziehen. Auch an dieser Konferenz ist ihre Position nicht vertreten, obwohl die Bundestagsfraktion zu den Veranstaltern gehört. Anwesende Abgeordnete zählen sämtlich zu Wagenknechts Kritikern.

Der Entwurf zum Einwanderungsgesetz folgt dem Axiom der offenen Grenzen in allen Bestandteilen und betrifft neben Einwanderungspolitik auch das Asylrecht, das Staatsangehörigkeitsrecht und eine Neuregelung der Rechte von Migranten in Deutschland. Elke Breitenbach, Sozialsenatorin in Berlin, formuliert den Anspruch am Anfang der Konferenz deutlich mit den Worten: »Alle müssen kommen können, alle müssen bleiben können.« Zwei Tage lang tragen die Teilnehmer Argumente zusammen, die diese These stützen, Widerspruch hält sich in Grenzen.

Die Parteivorsitzende Katja Kipping beklagt, dass die »fiebrigen Migrationsdebatten« nun auch die eigene Partei erreicht hätten. Und sie ruft zur Bekräftigung der Menschenrechte die Werte der französischen Revolution von 1793 zu Hilfe: Aufklärung, Freiheit und Solidarität. Teilhaberechte dürften nicht länger vom Zufall einer »Geburtslotterie« abhängig sein. Und soziale Gerechtigkeit sei keine nationale Frage mehr, sondern eine »planetarische«.

Es sind ausgerechnet die Vertreter der Zivilgesellschaft auf einem Podium am Freitagabend, die die Emphase zur Rettung der Welt ein wenig dämpfen, obwohl sich die Konferenz gerade von ihnen moralischen Beistand verspricht. Ulrich Lilie, Präsident der Diakonie in Deutschland, nimmt das in diesem Teil der LINKEN verpönte Wort der Überforderung in den Mund und spricht von einer religiösen, kulturellen und ethnischen Vielfalt, auf deren »rasend schnelle« Zunahme Deutschland nicht vorbereitet sei. Und Günther Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, möchte statt über offene Grenzen für alle doch lieber über offene Grenzen für Flüchtende reden, denn offene Grenzen seien Flüchtlingen durch internationale Rechtsstandards garantiert. Dieses Grundrecht werde gerade in Frage gestellt.

Lilie und Burkhardt sind es auch, die den Zusammenhang herstellen zu den Gründen, denen die Rechte ihren Vormarsch verdankt, den sozialen Problemen: grassierende Jugendarbeitslosigkeit in vielen Ländern der EU, Wohnungsnot in Deutschland zum Beispiel. Es gehe ihm nicht um Visionen, sagt Burkhardt. »Es geht ums Eingemachte.« Bodo Ramelow, Ministerpräsident der LINKEN in Thüringen, der als Unterstützer des Einwanderungsgesetzes ebenfalls angereist ist, bringt die Sklavenarbeit zur Sprache, zu der sich etwa Arbeiter aus Osteuropa für skandinavische Konzerne in Deutschland verdingen.

Die Interessen der Ökonomie zu beschneiden, um Rechte für Migranten zu sichern, wie Udo Wolf es beschrieben hat, ist eine hehre Aufgabe. Doch ist dies eine realistische Aufgabe, ein politischer Plan, erst recht für einen »planetarischen« Erfolg? Und wie soziale Kämpfe überhaupt führbar sein sollen, wenn nicht auf nationaler Ebene, das ist eine Frage, die auf dem Podium am Freitag nicht diskutiert wird. Und auch nicht in den Beiträgen am nächsten Tag, als Wissenschaftlerinnen die Unausweichlichkeit und Normalität von Migration seit Menschengedenken sachkundig belegen. Ob man nicht von der »normativen Debatte« zu konkreter Politik kommen müsse, fragt jemand aus dem Publikum. Es gehe hier nun einmal zuerst um Haltung und Werte, wird ihm geantwortet.

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