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Mehr Geld und Videokameras
Die SPD beschwört auf ihrem Landesparteitag Gerechtigkeit und Sicherheit
Wenn es ganz besonders sozialdemokratisch sein soll, dann bezieht man sich in der Partei gerne auf den ehemaligen Bundeskanzler Willy Brandt. So macht das auch Innensenator Andreas Geisel bei seiner Auftaktrede zum programmatischen zweiten Tag des Landesparteitags der Berliner SPD. Persönliche und soziale Freiheit gehörten zusammen, sei das Credo Brandts gewesen und in diesem Geiste sei auch der Antrag »Sicher Leben in Berlin« entstanden, erklärt Geisel.
Tatsächlich stellt der Antrag eine interessante Mischung dar. Er fordert einerseits eine größere soziale Sicherheit. Es findet sich unter anderem das solidarische Grundeinkommen darin, dass der Regierende Bürgermeister und Landeschef der SPD, Michael Müller, in der Zeit seiner Bundesratspräsidentschaft in die Diskussion brachte. Doch größtenteils geht es um die Polizei. Mehr Prävention, mehr Diversität in den Sicherheitsbehörden und auch wieder mehr Staat, also weniger Outsourcing, sollen es sein.
Und mehr Videoüberwachung. »Es gibt auch den sinnvollen Einsatz von Videotechnik mit Augenmaß unter Beachtung der rechtsstaatlichen Grundsätze«, so der Innensenator. An Kriminalitätsschwerpunkten solle der Einsatz zeitlich begrenzt möglich sein. Mit diesem Wunsch sorgt Geisel bereits längere Zeit für Unruhe bei den Koalitionspartnern LINKE und Grüne.
»In Ordnung« fänden die Jusos den Antrag, erklärt Annika Klose, Landeschefin der Jungsozialisten. »Das ist ja schon ein Lob.« Sie fordert eine schnelle Umsetzung des Versammlungsfreiheitsgesetzes. Es gehe »nicht nur um die Sicherheit für die bürgerliche Mitte, sondern auch für jene, die von Diskriminierung und auch von Polizeigewalt betroffen sind«.
Die Kritik an der Videoüberwachung überlässt Klose ihrem Stellvertretender Ben Schneider. »Es gibt keine Belege, dass Videoüberwachung irgendeine vorbeugende Wirkung hat«, sagt er. Sie bleibe »am Ende immer ein Eingriff in die Freiheit der Menschen« Kritiker sprechen auch vom »Placeboeffekt« solcher Überwachung.
Doch die rund 250 Delegierten halten es schließlich bei der Einschätzung des Bedarfs an zusätzlicher Kameraüberwachung mit der Tempelhof-Schöneberger Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler. »Selbst wenn das noch nicht wissenschaftlich bewiesen ist, gibt es Effekte. Grundsätzlich nein zu sagen zu allem, das halte ich für den falschen Weg«, erklärt sie. Der Leitantrag wird angenommen.
»Das hat mir den Rücken gestärkt«, sagt der Innensenator im Anschluss. Er blickt auf die Prüfung des Volksbegehrens für mehr Videoüberwachung durch das Landesverfassungsgericht. Geisel geht davon aus, das Teile des Begehrens von den Richtern als verfassungswidrig angesehen werden, andere jedoch nicht. »Das wird eine Dynamik entfalten, auf die wir vorbereitet sein werden«, so Geisel.
Deswegen werde er auch demnächst einen Gesetzentwurf zu dem Thema vorstellen. In das Abgeordnetenhaus einbringen werde er ihn jedoch nicht. Er wolle schließlich »keinesfalls die rot-rot-grüne Koalition sprengen«. Allerdings wollten »auch LINKEN- und Grünen-Wählerinnen und Wähler keine Opfer von Straftaten werden«, fügt er noch an.
Fast verwundert über »die neue Einigkeit in der SPD« zeigt sich Torsten Schneider, Fraktionsgeschäftsführer im Abgeordnetenhaus, beim nächsten Thema. Fast einstimmig beschließen die Delegierten, dass der 8. März, der Weltfrauentag, künftig ein Feiertag in Berlin werden soll. Die LINKE hatte sich vergangene Woche schon dafür ausgesprochen. Das setzt die Grünen nun unter Zugzwang, die sich eigentlich noch mehr Beratungen zum Thema zusätzlicher Feiertag wünschten.
Obwohl die Themen richtig seien, auf die die SPD setze »haben wir ein Problem«, sagt der Landesvorsitzende Michael Müller schließlich bei seiner Rede zum nächsten Leitantrag. Viele Leute empfänden die Sozialdemokraten als »nicht glaubwürdig«. Da sei die Umweltpolitik, wo man schon seit den 1970er Jahren wisse, was zu tun ist. »Wir versuchen aber immer noch, Wahlkämpfe zu bestreiten, in dem wir Arbeitsplätze in der Braunkohle erhalten wollen.« Beim Dieselthema gebe es immer noch keine Position der SPD.
»Die, die betrogen haben, müssen bezahlen«, könne diese aus seiner Sicht nur lauten. »Inakzeptabel« nennt er es, dass die im Juni 2017 auf der Bundesebene der Partei beschlossene Kommission zur Vermögenssteuer noch kein einziges Mal zusammengetreten sei. Er spricht auch über den »tiefen Vertrauensbruch« als den viele Menschen 2003 die Beschlüsse zur Agenda 2010 und den daraus folgenden Hartz-Gesetzen empfunden hätten.
»Wir müssen einfach machen«, sagt Raed Saleh, Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Die »existenziellen Sorgen der Menschen« müssten wieder in den Mittelpunkt gestellt werden. »Wir brauchen keine hoch bezahlten Experten und Lobbyisten, die uns immer erklären wollen, warum alles alternativlos ist«, so Saleh.
Konkret geht es in dem Antrag unter anderem um eine Anhebung des Landesmindestlohns bei Vergaben auf 12,63 Euro pro Stunde, da so bei Vollzeittätigkeit auch eine Rente in Höhe der Grundsicherung zu erwarten sei. Außerdem sollen alle Landesbeschäftigten eine Berlin-Zulage von monatlich mindestens 150 Euro erhalten. »Es muss möglich sein, in Berlin mit einem durchschnittlichen Einkommen eine Wohnung zahlen zu können und nicht nur ein Zimmer«, sagt Finanzsenator Matthias Kollatz. Das müsse noch in dieser Legislaturperiode stattfinden. Der Antrag wird einstimmig beschlossen.
Ob die Wähler die Wiederentdeckung der Gerechtigkeit und das Versprechen neuer Eindeutigkeit den Sozialdemokraten abnehmen, muss die Zeit zeigen. Ent- und geschlossen wirken die Genossen jedenfalls. Bei der letzten Wahlumfrage Anfang November kam die SPD in der Hauptstadt auf 16 Prozent, gleichauf mit der CDU, hinter die Grünen auf Platz eins und die LINKE auf Platz zwei.
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