In Flins geht die Angst um

Französische Regierung drängt auf Fortsetzung der Renault-Nissan-Allianz / Arbeiter sorgen sich um ihre Jobs

  • Ralf Klingsieck, Paris
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Affäre um den Steuerbetrug des Renault-Konzernchefs Carlos Ghosn hat in Frankreich Wellen von der Spitze des Staates bis zum letzten Beschäftigten bei Renault geschlagen. Präsident Emmanuel Macron setzte umgehend die Prioritäten: »Wir werden alles für die Stabilität von Renault und den Erhalt der Allianz mit Nissan tun.« Das erste Ergebnis war die am Dienstag gefällte Entscheidung des Verwaltungsrats von Renault, ein Tandem aus Vizevorstandschef Thierry Bolloré und Vorstandsmitglied Philippe Lagayette mit der vorläufigen Führung zu beauftragen.

Aufgrund des juristischen Unschuldsvorbehalts bleibt Ghosn offiziell Vorstandsvorsitzender und kann seinen Posten wieder einnehmen, falls sich seine Unschuld erweist. Doch daran glaubt in Frankreich niemand - tatsächlich wird auf allen Ebenen bereits intensiv über die weitere Entwicklung »nach Ghosn« nachgedacht. Der Staat hält 15 Prozent der Anteile und 28 Prozent der Stimmrechte bei Renault. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, der die schnelle Entscheidung für die kommissarische Leitung durchsetzen konnte, betont: »Angesichts der Herausforderungen für die Autoindus-trie durch den technologischen Fortschritt mit den Elektroautos oder den autonomen Fahrzeugen brauchen wir einen Hersteller, der stark, solide und weltweit integriert ist.« Er zeigt sich zufrieden, dass offenbar auch der Nissan-Führung in Japan an einer Fortsetzung der Allianz mit Renault gelegen ist. Am Donnerstag wird Wirtschaftsminister Hiroshige Seko in Paris zu Gesprächen darüber erwartet. »De facto hat die Regierung Ghosn schon fallengelassen und bereitet dessen Nachfolge und die weitere Entwicklung vor«, schätzt die Wirtschaftszeitung »Les Echos« ein.

Oberste Priorität hat die Bewahrung der Allianz zwischen Nissan, Renault und Mitsubishi, dem kleinen Dritten im Bunde, die mehr Autos als jeder andere Hersteller in der Welt bauen. Ihr Gesamtumsatz entspricht etwa dem Bruttoinlandsprodukt Algeriens oder Griechenlands, fast eine halbe Million Mitarbeiter sind in weltweit 122 Werken beschäftigt. Die drei Konzerne haben eine dichtgeknüpfte industrielle Integration geschafft, mit gemeinsamen Direktionen für Einkauf, Logistik, Forschung und Entwicklung, Qualitätskontrolle und Kundendienst. Beispielsweise wird der Nissan-Kleinwagen Micra im Renault-Werk in Flins bein Paris gebaut. Drei Millionen Autos der drei Marken haben bereits zu 70 Prozent gemeinsame Bauteile. Diese kostensparende Synergie soll auf weitere drei Millionen ausgedehnt werden. »Eine Scheidung wäre schmerzhaft und kostspielig wie bei einem Paar nach 20 Jahren Ehe«, schätzt »Les Echos« ein.

»Jetzt kommt alles auf das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Autokonzernen an«, meint Flavien Neuvy, Direktor der Wirtschaftsberatungagentur Cetelem. »Die Nissan-Gruppe, die vor Jahren vor dem Ruin stand und durch Ghosn mit knallharten Methoden gerettet wurde, ist heute stärker als Renault.« Sie baue mehr Autos, habe mehr Umsatz und investiere mehr in Forschung und Entwicklung. »Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sich die Allianz Renault-Nissan in Nissan-Renault umkehrt.«

Darüber macht sich Ben Abdelkader, der Zeitarbeiter bei Renault in Flins ist, keine Gedanken. »Wir sorgen uns um unsere unmittelbare Zukunft, ob die Werke und damit unsere Arbeitsplätze erhalten bleiben. Schließlich hängt von jedem einzelnen Arbeiter hier das Schicksal einer ganzen Familie ab.«

Fabien Gache, CGT-Gewerkschafter im Gesamtbetriebsrat von Renault, schätzt verbittert ein: »Alle Beschäftigten der Gruppe sehen besorgt in die Zukunft. Die Erfahrungen zeigen, dass bei jeder Firmenkrise letztlich die Beschäftigten die Zeche bezahlten mussten, in Form von stagnierenden Löhnen, Einstellungsstopp oder Personalabbau.« Fabien Gloaguen, Betriebsrat der Gewerkschaft Force ouvrière im Renault-Werk Sandouville, sagt: »Die Arbeiter fühlen sich durch Ghosn verraten. Die Skrupellosigkeit und Geldgier ihres Konzernchefs schaden schließlich dem Image der Gruppe und damit deren wirtschaftlicher Situation. Davon zeugt schon der Absturz der Renault-Aktie an der Börse.«

In dieses Bild passen jüngst veröffentlichte Statistiken, wonach das Durchschnittsgehalt der Konzernchefs der französischen Spitzenunternehmen im vergangen Jahr bei 4,1 Millionen Euro im Jahr lag und damit einen Rekordzuwachs von 14 Prozent verzeichnete. Zum Vergleich: Carlos Ghosn bekam bei Renault 7,4 Millionen Euro und in Japan noch einmal so viel.

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