Mit Phantom-Papieren den Fiskus geprellt

Zahlten die deutschen Finanzämter Millionen Euro Steuererstattung für US-amerikanische Aktien aus, die es gar nicht gab?

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) muss rasch Antworten finden. Ein neuer, möglicherweise milliardenschwerer Betrugsskandal mit dubiosen Aktiengeschäften bahnt sich in der Bundesrepublik an. So spürt die Staatsanwaltschaft Köln einer bis vor kurzem unbekannten Masche nach, mit der Banker und Großanleger Steuergelder ergaunert haben sollen. Der Trick basiert auf Phantom-Papieren von US-amerikanischen Aktien. Nach Recherchen von Westdeutschem Rundfunk und »Süddeutscher Zeitung« soll die offenbar illegale Masche seit Jahren in Deutschland und anderen Ländern praktiziert worden sein. Die Fahnder in Köln haben laut WDR ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Mitarbeiter einer Bank in Deutschland eingeleitet. Der Verdacht: Steuerbetrug in großem Stil.

Im Kern geht es um Geschäfte mit »American Depositary Receipts« (ADR). Das sind Papiere, die von US-Banken, die im Ausland tätig sind, ausgestellt und in den USA stellvertretend für ausländische Aktien gehandelt werden. Normalerweise muss jedem ADR-Papier eine echte Aktie zugrunde liegen. Diese Derivate sind in den Vereinigten Staaten seit dem Jahr 1927 im Umlauf. Heute werden nach Angaben der US-amerikanischen Finanzaufsicht SEC solche ADR-Derivate von mehr als 2000 Aktiengesellschaften in über 70 Ländern gehandelt. Offenbar wurden in den USA Millionen von ADR-Papieren herausgegeben, die nicht mit einer echten Aktie hinterlegt waren.

Ausgelöst hat den Skandal hierzulande nach Informationen des »nd« ebenfalls die US-Finanzaufsicht. Bereits Mitte Juli hatten zwei Tochtergesellschaften der Deutschen Bank (DBTCA und DBSI) einem Vergleich über 75 Millionen US-Dollar (rund 65 Millionen Euro) mit den amerikanischen Behörden zugestimmt. Anfang November akzeptierte die Citibank dann eine Geldstrafe von 38,7 Millionen Dollar, weil sie ebenfalls ungedeckte ADR-Papiere vertrieben hatte. Im Fokus der US-Finanzaufsicht stehen offenbar noch andere internationale Großbanken und Investoren, die möglicherweise jahrelang und weltweit derartige Scheingeschäfte betrieben haben.

Mit Scheinpapieren, so ein weiterer Verdacht, sollen sich Akteure außerhalb der USA Steuererstattungen ergaunert haben, auch in Deutschland. Solche Erstattungen werden hierzulande am sogenannten Dividendenstichtag allein an ausländische Aktionäre und ihre Banken überwiesen. Damit sollen die höheren Steuern in Deutschland gegenüber Investoren aus dem Ausland ausgeglichen werden.

Die Beute, also die illegale Steuererstattung, sollen sich Banker, Aktienhändler und Anleger dann untereinander aufgeteilt haben. Die Zeche hätten dann die deutschen Steuerzahler gezahlt. Die neue, »Cum Fake« genannte Affäre erinnert an die inzwischen verbotenen Cum-Ex-Steuergeschäfte, durch die ein Milliardenschaden für Steuerzahler in Europa entstanden war.

Im Ministerium von Bundesfinanzminister Scholz an der Berliner Wilhelmstraße klingeln nun die Alarmglocken. Es soll die zuständigen Stellen in den Bundesländern angewiesen haben, zur Aufklärung beizutragen. Auch Finanzministerien in anderen EU-Staaten habe man um Mithilfe gebeten. Bereits vor einer Woche soll das Ministerium per Erlass vorsorglich ein digitalisiertes Erstattungsverfahren gestoppt haben, das es Kriminellen erleichtert hat, in die Staatskasse zu greifen. Auf Anfrage bestätigte das Finanzministerium dies aber am Donnerstag bis Redaktionsschluss nicht.

Der FDP-Politiker Florian Toncar fordert einen Sonderermittler. LINKE und Grüne haben Olaf Scholz in den Finanzausschuss einbestellt. Der Finanzexperte der LINKEN, Fabio De Masi, fordert, dass das Bundeszen-tralamt für Steuern und die Finanzaufsicht Bafin alle Erstattungen rund um den Dividendenstichtag systematisch analysieren und eine Task-Force schaffen sollen. Nötig seien zudem ein europäisches Finanz-FBI und »ein Unternehmensstrafrecht, um die kriminelle Kultur in den Vorstandsetagen auszumerzen«. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick fordert von der Deutschen Bank Auskunft, ob die US-Niederlassungen kriminelle Geschäfte aktiv unterstützt haben.

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