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- Sozialpolitik der SPD
Hartz IV überwinden heißt Hartz IV abschaffen
Wer eine wirkliche Kehrtwende in der Sozialpolitik will, muss auch sagen, wie sie umgesetzt werden soll. Jedenfalls nicht mit der Union, sagt Hilde Mattheis
Es ist höchste Zeit, dass die Debatte zur »Überwindung von Hartz IV« nicht nur von denen geführt wird, die schon immer die Korrektur gefordert haben. Daher ist zu begrüßen, dass die Spitze der SPD anmahnt, dass »viele Menschen das Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung« erfahren und Vorschläge machen um Abstieg zu verhindern und Aufstieg zu ermöglichen.
Niemand aber sollte eine solche Abkehr von Hartz IV als vorrangig taktische Notwendigkeit sehen, sondern mit der Überzeugung, dass unser Sozialstaat wieder verlässlich wird und bei Bedarf Solidarität und kollektive Absicherung garantiert. Denn Hartz IV ist das Symbol für gesellschaftlichen Abstieg, Angst, soziale Kälte, Scham und Entwürdigung. Viele ALG II-EmpfängerInnen, oftmals Menschen, die hart gearbeitet und wenig angespart haben, fühlen sich durch dieses System in ihrer Würde verletzt. Das schreiben sie zurecht vor allem der SPD zu. Zwar hatten auch die Grünen, die Union und die FDP die Reformen aus voller Überzeugung mitgetragen, aber die SPD galt bis dahin als Schutzmacht gegen soziale Ungerechtigkeit. Stattdessen aber reihte sich die Sozialdemokratie ein in die Claqueure neoliberalen Gedankenguts.
Wir müssen die Fehler der Vergangenheit eingestehen und klar benennen. Es gehört dazu, sich bei jenen Menschen zu entschuldigen, die wir mit dem sozialen Kahlschlag der Hartz-Reformen auf die Abwärtstreppe gestoßen haben, auf der sie kaum wieder hochkommen.
Der Sozialstaat muss klare Grundsätze verkörpern: Der Staat muss seine Bürger*innen schützen und sich um sie kümmern. Soziale Sicherheit heißt nicht Kampf gegeneinander, sondern ein solidarisches Miteinander. Profitinteressen haben in den Bereichen der sozialen Sicherheit wie Rente, Pflege, Gesundheit und Bildung nichts zu suchen. Sozialpolitik setzt gerechte Verteilung und die Orientierung am Gemeinwohl voraus.
Neben der Erhöhung des Mindestlohnes, der massiven Einschränkung der Leih- und Zeitarbeit und der Werksverträge muss die Reform des Arbeitslosengeldes I und II folgende Punkte beinhalten: Erhöhung und Koppelung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I an die Zeit der Beschäftigung und das Alter. Der Zugang zur Arbeitslosenversicherung muss wieder erleichtert werden. Sanktionen müssen abgeschafft werden. Niemand darf gegängelt werden, es müssen vielmehr positive Anreize für Arbeitssuchende gegeben werden. Zusätzlich müssen Regelsätze neu berechnet und angehoben werden, so dass ein Mindestarbeitslosengeld oberhalb des Grundsicherungsniveaus gezahlt wird. Weiterhin müssen die Zuverdienstmöglichkeiten reformiert werden, denn die heute festgelegten Grenzen bedeuten für viele Menschen krasse Einschnitte. Ein Zuverdienst lohnt sich häufig schlichtweg nicht. Gleichsam müssen die Grenzen für einzubehaltendes Vermögen erhöht werden, so dass Menschen die jahrzehntelang gearbeitet haben, nicht Angst vor Verlust ihres gesamten Ersparten haben müssen.
Kinder müssen endlich bei der Grundsicherung gesondert in den Blick genommen werden. Nach Schätzungen des Deutschen Kinderschutzbundes sind über vier Millionen Kinder von Armut betroffen. In einem so reichen Land wie dem unseren darf das nicht hingenommen werden. Daher muss in einem ersten Schritt geregelt werden, dass das Kindergeld nicht auf den Regelsatz angerechnet wird. Ziel muss die Einführung einer Kindergrundsicherung in Höhe des Existenzminimums sein, das mit steigendem Einkommen abgeschmolzen wird.
Das Konzept »Fordern und Fördern« ist in der Praxis zum reinen Fordern verkommen. Förderung im Sinne des lebenslangen Lernens und der Umschulung bzw. Qualifizierung für den Arbeitsmarkt ist sinnvoll. Jedoch wird der durch das Hartz-System geschaffene Markt an Seminaren und Zertifikaten kaum kontrolliert oder evaluiert. Hier müssen wir zu einem wirklichen, zielgerichteten Fördern kommen.
Schließlich ist es sinnvoll, Konzepte wie ein solidarisches Grundeinkommen für Langzeitarbeitslose stärker zu erforschen und zu testen. Wir müssen prüfen, ob diese staatlichen Garantien helfen, den psychischen Druck von den Menschen zu nehmen und die Arbeitsaufnahme erleichtern.
Für die Demokratische Linke in der SPD ist klar: Wer diese grundlegende Reform will, muss auch sagen, wie sie umgesetzt werden soll. Mit der CDU/CSU wird das niemals funktionieren. Das gelingt nur in einem progressiven Bündnis, wofür es sich mehr denn je zu kämpfen lohnt.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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