• Politik
  • Strukturwandel in Sachsen

Nach der Kohle kommt die Kreativität

Sachsens LINKE fordert Experimentierfreude beim Strukturwandel in der Lausitz

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.

In Niesky war einmal die Avantgarde des Bauens zu Hause. In der Stadt in der Lausitz wurden in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts modernste Gebäude aus Holz entworfen und industriell gefertigt: Wohnhäuser, Kirchen, Bürogebäude. Die Bauwerke, viele davon in der Firma Christoph & Unmack AG von dem renommierten Gestalter Konrad Wachsmann entworfen, waren gut für Rekorde: Ein 118 Meter hoher Funkturm etwa galt damals als höchstes Gebäude der Welt. Zudem waren sie preiswert, haltbar und gut gedämmt. 1940 brach die Tradition freilich ab.

Knapp 80 Jahre später wäre sie es wert, wiederbelebt zu werden, schließlich erlebt das ökologische Bauen eine Renaissance. Zudem braucht die Region um Niesky neue Erwerbsquellen: Die Kohle, an deren Förderung und Verstromung in der Lausitz viele Unternehmen und Arbeitsplätze hängen, wird in absehbarer Zeit als Industrie verschwinden. Ein Ausweg: Die »Wiedererweckung traditioneller Wirtschaftskerne«. So steht es in einem Thesenpapier der LINKEN in Sachsens Landtag. Neben einer Textilindustrie, die traditionelle pflanzliche Rohstoffe wie Flachs und Lein verarbeiten könnte, wird genannt: die industrielle Holzbauweise.

Den Autoren ist klar, das auch eine boomende Nachfrage nach Holzgebäuden nicht den Jobverlust in der Kohle kompensieren kann. Allerdings sehen sie Arbeitsplätze nicht als das entscheidende Problem beim Strukturwandel in der Lausitz. Das Ende der Braunkohle werde etwa 2040 kommen; bezieht man Übergangsfristen und den Rückbau der Kraftwerke ein, würden »nur die heute 25-jährigen Kumpel das tatsächliche Aus noch vor ihrer Rente erleben«, sagt der Görlitzer Landtagsabgeordnete Mirko Schultze. Das wichtigste Problem für die Lausitz heiße deshalb nicht: neue Jobs für Kohlekumpel, sondern: neue Leute für eine Region im Umbruch. »Die fehlenden Köpfe werden das Problem«, meint Kathrin Kagelmann, ebenfalls Abgeordnete aus der Lausitz. Die demografische Entwicklung sorgt dafür, dass mittelständische Unternehmen, Handwerker und Dienstleister schon heute keine ausgebildeten Mitarbeiter finden. »Wir steuern auf einen Fachkräftemangel zu, der bedrohlich ist«, betont Schultze.

Die Politiker werben deshalb dafür, den Umbruch so zu gestalten, dass die Region für Zuzügler, nicht zuletzt junge, gut ausgebildete, kreative Menschen, attraktiv wird. Das ist sie bisher nur bedingt. Zwar habe der Rückzug des Vattenfall-Konzerns aus dem Kohlerevier 2016 als »ultimativer Weckruf« gewirkt, sagt Kagelmann. Doch viele Lausitzer schauen mit Bangen in die Zukunft und fürchten einen Strukturbruch mit ähnlich dramatischen Auswirkungen wie nach dem Ende der DDR, als die Energiebranche drastisch schrumpfte und Branchen wie Glas- und Textilindustrie ganz wegbrachen. Deshalb herrsche »mentale Schwermut«.

Der wollen die sächsischen Linkspolitiker entgegentreten - nicht, indem sie in Forderungen nach Milliardenbeträgen für den Strukturwandel sowie Autobahnen oder Schnellzugtrassen einstimmen, sondern indem sie der Region auf andere Weise zu Attraktivität verhelfen wollen. Die Rede ist von einer »neuen Arbeitskultur«, zu der etwa eine regionale 30-Stunden-Woche und ein Pilotprojekt für ein Grundeinkommen gehören. Für die zahlreichen leer stehenden Gebäude sollte bei Gründern und Kreativen geworben werden. Regionale Kreisläufe sollten gefördert und Wirtschaftsformen wie die solidarische Landwirtschaft gestärkt werden. Im Thesenpapier ist von »Pioniergeist« die Rede, für den Politik und Verwaltung die Voraussetzung schaffen sollten. Dazu müssten Debatten über die Zukunft der Lausitz, die derzeit in einer unüberschaubaren Vielzahl von Gremien, Werkstätten und Foren stattfinden, deutlich basisdemokratischer und partizipativer geführt werden, betont Kagelmann.

Über Infrastruktur wollen die Politiker auch reden - aber nicht so wie in allen strukturschwachen Regionen des Landes. Zuzügler gewinne man »nicht mit breiten Straßen, wie es sie überall gibt«, so Schultze. Wichtig sei ein hochmoderner öffentlicher Nahverkehr, der Rufbusse, Carsharing und Leihräder verbindet - und damit mindestens so innovativ ist wie die Holzhäuser aus Niesky vor 100 Jahren.

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