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Bürger, Wölfe, Polizei
Kongressnotizen: Die GdP und der Rechtsruck in der Gesellschaft
Die föderale Ordnung unseres Landes macht es schwer, genaue Zahlen zu nennen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass es in Deutschland knapp 300 000 Polizisten gibt. 190 000 von ihnen sind in der Gewerkschaft der Polizei (GdP) organisiert. Einen größeren Organisationsgrad kann keine andere Berufsgruppe aufweisen. Aus 16 Landesbezirken und den Bezirken Bundespolizei und Bundeskriminalamt wurden über 700 Delegierte und sogenannte Funktionsträger zum 26. Bundeskongress entsandt. Der begann am Montag und tagt noch bis zum Donnerstag in Berlin.
Solche Treffen finden alle vier Jahre statt. Diesmal liegen rund 300 Anträge zur Beratung vor. Sie betreffen die inhaltlichen Positionen und Leitlinien der GdP ebenso wie Forderungen nach mehr Personal, besserer Ausrüstung. Soweit das Formale.
Der laufende Kongress unterscheidet sich deutlich von denen vergangener Jahre. Ursache dafür ist zum Gutteil die Zerrissenheit der Gesellschaft. Noch nie trat ein Bundespräsident vor die Versammelten und erklärte: «Extremismus in den Reihen der Polizeien darf es nicht geben und darf nicht geduldet werden.» Frank-Walter Steinmeier hielt eine Art Vorlesung zum Thema Gewerkschaften und Demokratie, das vor 100 Jahren in Deutschland seinen Anfang nahm. Die Gewerkschaften hätte insbesondere nach dem Ende der Nazidiktatur «Verantwortung übernommen» und seien «zum wichtigsten Stifter des gesellschaftlichen Zusammenhalts» und «zum Impulsgeber geworden».
Steinmeier bezog sich auf seine Erkundungen in aktuellen Polit-Brennpunkten wie Cottbus und Chemnitz. Er warnte: «Wenn in einer Gesellschaft der Respekt voreinander erodiert, dann geht das an ihre Grundfesten.» Er hält es für bedenklich, wenn Menschen nicht mehr über «das Wie» der Demokratie reden, sondern über «das Ob». Das stärke jene, «die - wie es neuerdings wieder heißt - das System infrage stellen».
Oliver Malchow, der alte und seit Dienstag mit 83,86 Prozent der Delegiertenstimmen auch neue GdP-Chef, sprach das Thema direkt an. Er bezog sich auf eine Reportage in der «Süddeutschen Zeitung», die ihm die Vorbereitung auf diesen Festakt und auf das Thema «Wir stehen für Rechtsstaatlichkeit» sehr schwer gemacht habe. Ein Funktionär seiner Gewerkschaft soll dem Reporter gesagt haben, «dass man mit Flüchtlingen im Grunde genommen ähnlich hätte umgehen können wie mit den Wölfen, die in die Lausitz eingedrungen sind, nämlich die ersten beiden erlegen, und dann erledigt sich das andere».
Es falle ihm schwer, «über so etwas zu reden», sagte Malchow. «Aber ich halte es nicht aus, solche Äußerungen für die GdP stehen zu lassen.» Er akzeptiere diese Verhaltensweise nicht. «Wir haben unsere Werte in unserer Satzung klar formuliert. Die halten wir hoch, und die gilt. Wer diese Werte nicht akzeptiert, der kann nicht Mitglied dieser Organisation sein.» Die GdP stehe «für eine Bürgerpolizei», bei der sich die Bürgerinnen und Bürger nicht ängstigen müssen, sondern bei der sie wissen: «Wenn sie einschreitet, dann geschieht dies nach demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätzen. Für eine solche Polizei stehen wir, für keine andere.»
Wer eine Bürgerpolizei will, der muss «den Bürger» definieren. Gegenüber «nd» spricht Malchow zunächst über Bürgernähe und darüber, dass man kompetent und höflich auftreten sowie rascher auf Notrufe reagieren müsse. Auch mehr Prävention sei geboten. Für all das müsse die Politik notwendige Voraussetzungen schaffen. Es gehe nicht an, dass die Spurensicherung nach einem Einbruch erst am Folgetag erscheint, weil das Personal knapp ist. Überhaupt sei das mit dem der Polizei zugestandenen personellen Aufwuchs eine falsche Rechnung. Nach Jahren des Stellenabbaus im Sinne eines «schlanken Staates» - den auch Steinmeier in seiner Rede als Fehler bezeichnet hatte - sei der Trend nicht etwa gestoppt. Zwischen 2017 und 2019 würden Bund und Ländern jeweils 15 000 Kräfte zusätzlich zu den eigenen Planungen einstellen. Doch wer 2019 eingestellt wird, braucht drei Jahre, bis er auf der Straße oder in Ermittlungsbereichen eingesetzt werden kann. 2022 habe man theoretisch 45 000 neue Polizisten - doch kein Plus, denn bis dahin gegen 44 000 Beamte in den Ruhestand. Malchow stellt zahlreiche Forderungen, hält dann aber inne, wird prinzipieller, denn er spürt, dass die Reporterfrage auf das fragile Verhältnis von Polizei und sich wandelnder Gesellschaft zielt. «Seien sie sicher: Wir werden nicht Leuten hinterherlaufen, die gegen die Verfassung arbeiten!» In Sachen Demokratie und Rechtsstaat «zeigen wir klare Kante». Man sei einem Menschenbild verpflichtet, in dem Herkunft oder Religion keinen Unterschied machen«. Und dann folgt ein Satz, der sowohl Unsicherheit wie Charakter verrät: »Klar, ich will wiedergewählt werden, doch deshalb ducke ich mich doch nicht ab.«
Als Malchow sich so festlegte, waren bereits vier Stunden Kongress absolviert. Nicht einer, der sich bis dahin zu Wort gemeldet hatte, sprach die zentralen Begriffe »AfD« oder »Pegida« aus. Daran gedacht haben viele. Denn die Polizei und ihre größte Gewerkschaft ist natürlich ein Spiegelbild der Gesellschaft. Es gibt bei vielen »Ordnungshütern« mehr als nur Interesse an der »Alternative«, deren Frontleute sich stark machen gegen liberale Gesellschaftsformen, die Ausländerkriminalität benennt, die nach den Übergriffen in der Silvesternacht 2015 auf der Kölner Domplatte ebenso wie zu den beiden von Asylbewerbern begangenen Vergewaltigungen in Freiburg mehr als nur »klare Worte« fand.
Die GdP, die sich bislang als SPD-Hochburg verstand, könne ihren Mitgliedern keine Parteipräferenzen zuordnen, hört man von Funktionären. Die AfD sei eine legale politische Kraft. Solange sie sich an demokratisch-freiheitliche Grundsätze halte und die Beamten in der Dienstzeit politisch neutral agieren, sei die GdP außen vor. Andere verweisen auf einen Beschluss, laut dem eine Funktion in der AfD nicht vereinbar ist mit einer Funktion in der GdP. Der Grund ist allerdings kein inhaltlicher. Man moniert, dass sich die AfD mit der Gründung eigener Arbeitnehmervertretungen gegen DGB und Beamtenbund stellt.
Solche »Krücken« und das Demokratiebekenntnis von Funktionären wie Oliver Malchow werden nicht ausreichen. Die Gewerkschaft insgesamt, vor allem aber ihre Landesgliederungen müssen sich klarer bekennen gegen Rassismus in der Gesellschaft wie gegen Extremismus in den Reihen der Polizei. Besonders dringlich scheint das in Sachsen zu sein. Die dort geübte Toleranz gegenüber Hassaufzügen, ausbleibende Erfolgen bei der Aufklärung von Anschlägen gegen ausländische und jüdische Restaurants, ein »Hutbürger« im Innenministerium, die Frakturstickerei »Spezialeinsatzkommando Sachsen« in einem Panzerfahrzeug sind etwas zu viele »Einzelfälle«. Und dass SEK-Beamte als Decknamen ausgerechnet den des NSU-Mörders Uwe Böhnhardt wählten, kann niemand ernsthaft mit Unreife erklären.
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