»Eine besondere Verantwortung«

Die LINKE ringt um ihre Haltung gegenüber Russland.

  • Felix Jaitner
  • Lesedauer: 7 Min.

Angela Merkel gehört bekanntlich nicht zu Donald Trumps bevorzugten Gesprächspartnerinnen. Beim ersten Treffen der beiden verweigerte er der deutschen Bundeskanzlerin graziös den Handschlag. Diese Woche überraschte der US-Präsident die Öffentlichkeit mit einem außenpolitischen Vorstoß: »Angela, lasst uns Angela einbeziehen!« Mit diesen Worten warb Trump in einem Interview mit der »New York Post« für eine aktive Rolle Deutschlands angesichts der jüngsten Gewalteskalation zwischen Russland und der Ukraine vor der Halbinsel Krim. Ob das US-amerikanische Staatsoberhaupt den Vorschlag nun ernst meint oder nicht, Deutschland hat seine Vermittlerrolle gegenüber Russland bereits weitgehend eingebüßt.

Dabei hat das deutsch-russische Verhältnis auch andere Zeiten erlebt. Im Zuge der Ostpolitik Willy Brandts ab den 1970er Jahren erarbeitete sich die Bundesrepublik eine eigenständige Position im ansonsten klar festgezurrten außenpolitischen Koordinatensystem des Ost-West-Konfliktes. Politisch blieb die BRD zwar Teil der US-amerikanisch dominierten NATO, wirtschaftlich aber pflegte sie enge Beziehungen zur Sowjetunion. Diese Entwicklung wurde durch die deutsche Wiedervereinigung sogar noch gefestigt. In den 1990er Jahren stieg die Bundesrepublik zum wichtigsten russischen Außenhandelspartner auf. Der Historiker und Aktivist Boris Kagarlitzkij spricht mit Blick auf die ökonomischen Beziehungen beider Länder sogar von einer »führenden Rolle« Deutschlands in Russland. Russland liefert Deutschland Öl und Gas und bezieht dafür Maschinen, Autos und chemische Erzeugnisse. Die neue kapitalistische Elite Russlands akzeptierte diese Entwicklung und setzte bei der Modernisierung der eigenen Wirtschaft in erster Linie auf Deutschland. Dies brachte Präsident Wladimir Putin in seiner Bundestagsrede im Jahr 2001 zum Ausdruck: »Ich bin der Meinung, dass Europa seinen Ruf als mächtiger und selbstständiger Mittelpunkt der Weltpolitik langfristig nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands vereinigen wird.«

Einreisesperren für Russen

Kiew. Als Reaktion auf die jüngste Eskalation im Konflikt mit Moskau hat die Ukraine von Freitag an die Einreisebestimmungen von männlichen Russen im Alter zwischen 16 und 60 Jahren drastisch eingeschränkt. Dies teilte der Chef der Grenzbehörden nach einem live im Fernsehen übertragenen Treffen mit Staatspräsident Petro Poroschenko mit. Russland verurteilte den Schritt, will aber zunächst offenbar keine Vergeltungsmaßnahmen ergreifen.

Unterdessen kritisiert Polens Außenminister Jacek Czyputowicz, dass Berlin trotz Zuspitzung im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland am Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 festhalte. »Deutschland will die Gaspipeline weiterhin realisieren«, sagte  er am Freitag im polnischen Radio. Derweil stellte EU-Ratspräsident Donald Tusk eine Verlängerung der europäischen Sanktionen gegen Russland in Aussicht gestellt.

Die Bundesregierung bleibt jedoch bei ihrem diplomatischen Kurs. Kanzlerin Angela Merkel plant trotz ihrer Flugprobleme, am Rande des G20-Gipfels zu bilateralen Gesprächen mit Russlands Präsident Wladimir Putin zusammenzukommen. Agenturen/nd

Erste Risse bekam das deutsch-russische Verhältnis nach der Rede Putins auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Jahr 2007. Putin kritisierte, dass die russischen Zugeständnisse im Zuge der deutschen Einigung dazu genutzt wurden, die Position der NATO zu stärken. Darüber hinaus verwies er auf die Barrieren für russisches Kapital in wirtschaftlichen Schlüsselsektoren westlicher Länder, obwohl die russische Wirtschaft für ausländisches Kapital weitgehend offen sei. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass ein Teil der russischen Elite die untergeordnete Stellung Russlands gegenüber dem Westen nicht mehr akzeptierte und stattdessen eine Ausrichtung auf den postsowjetischen Raum und China forderte.

Seit dem Krieg in Georgien 2008 und insbesondere seit dem Regierungsumsturz in der Ukraine im Februar 2015 treten Deutschland und Russland zunehmend als Konkurrenten im postsowjetischen Raum auf. Der Ukraine-Konflikt war ein Wendepunkt in der deutschen Politik: Zum ersten Mal wurde ein relevanter Exportmarkt wie Russland zugunsten politischer Interessen in der Ukraine aufgegeben. Die Einführung der Sanktionen hatte nicht nur einen Einbruch des bilateralen Handels zur Folge, sie stärkte auch jene gesellschaftlichen Kräfte, die für ein Ende der Westausrichtung Russlands plädieren.

Nach Ansicht von Alexander Neu, Obmann im Verteidigungsausschuss sowie Osteuropabeauftragter der Linkspartei im Bundestag, haben die traditionellen hegemonialen Ansprüche Deutschlands in Osteuropa und im sowjetischen Raum den Kalten Krieg »überwintert«. Gegenüber »nd« konstatiert er: »Das Feindbild Russland ist wiederbelebt. Es war nie wirklich weg. Der Kalte Krieg war auch nie wirklich beendet, sondern hat pausiert.«

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch, sieht eine historische Kontinuität - wie den in der BRD konservierten Antikommunismus - als wichtige Ursache für das negative Russland-Bild. Er verweist im Gespräch mit »nd« auf einen Denkwandel der politischen Eliten. »Das Verhältnis zu Russland wird in Deutschland oft auf einer innenpolitischen Machtfolie betrachtet. Das ist der Grund, warum es nach Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel mit Heiko Maas in dieser Frage einen Bruch gegeben hat.« Der SPD-Führung gehe es nicht zuletzt darum, sich klarer von den »Russland-Verstehern« abzugrenzen. »Man kann Wahlen mit einer solchen Haltung gewinnen oder verlieren«, so Bartsch.

Die ehemalige Bundestagsabgeordnete und langjährige Osteuropa-Politikerin Marieluise Beck (Grüne) bringt diesen Denkwandel zum Ausdruck, wenn sie davon spricht, dass die »europäische Friedensordnung durch die russische Annexion der Krim sowie die Aggression Russlands im Donbass« zerstört worden sei. Bartsch nennt diese Position eine »klassische grüne Sicht« und verweist auf die völkerrechtswidrige Bombardierung Jugoslawiens durch die NATO im Jahr 1999 unter deutscher Beteiligung in der ersten rot-grünen Regierungskoalition. Während die Russland-Frage in den meisten deutschen Parteien sehr kontrovers diskutiert werde, gebe es nur bei den Grünen eine »konsequent einseitige« Position. »Die haben überhaupt gar kein Interesse, etwas zu verstehen. Der Böse ist Russland.« Genauso wie gegenüber Israel betont der Linksfraktionsvorsitzende gegenüber Russland »eine besondere deutsche Verantwortung. Und ich sehe es ausdrücklich anders und gegen den aktuellen Trend, der sagt, damit müsse irgendwann einmal Schluss sein«, sagt Bartsch.

Doch was bedeutet diese spezielle Verantwortung konkret? »Wir kämpfen darum, dass Maßstäbe in der deutschen Außenpolitik überall gleich sind«, erklärt Bartsch. »Das ist auch eine Aufforderung an uns.« Und gilt dies auch für die Ukraine und Belarus, die genauso unter dem Naziterror zu leiden hatten? In der Ukraine ist die Geschichtsaufarbeitung spätestens seit dem Regierungswechsel stark umkämpft. Der Erinnerung an den »Großen Vaterländischen Krieg« steht die Verehrung der Nazi-Kollaborateure um Stepan Bandera gegenüber. Im Hinblick auf Belarus kommt der II. Weltkrieg im deutschen Diskurs fast gar nicht zur Sprache. In der LINKEN gibt es eine einheitliche Linie in der Ablehnung der Sanktionen und Forderungen nach einer friedlichen Beilegung des Konfliktes. Sowohl Bartsch als auch Alexander Neu sprechen sich sogar für mehr wirtschaftliche Kooperation mit Russland aus.

Doch zentrale Streitfragen bleiben in der LINKEN ungelöst. »Selbstverständlich war die Annexion der Krim völkerrechtswidrig«, sagt Bartsch. »Ja, auch Russland hat seinen Beitrag zur Konfrontation geleistet.« Neu sieht das anders: »Ich erachte den Begriff Annexion der Krim für falsch und spreche lieber von verfassungsrechtlicher Sezession und völkerrechtswidriger Integration in die Russische Föderation. Der Begriff Annexion hat einen wesentlichen stärkeren Gewaltcharakter gegen die lokale Bevölkerung, und die gab es nicht.«

Weitere Streitfragen sind die Lage im Nordkaukasus sowie der Umgang mit der politischen Repression gegen die gesellschaftliche Linke, Homosexuelle oder Menschenrechtsaktivisten. Große Bekanntheit erlangte in diesem Zusammenhang ein Gesetz aus dem Jahr 2012, das es ermöglicht, in Russland tätige Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als »ausländische Agenten« zu registrieren, insofern diese ihre Tätigkeit mithilfe ausländischer Gelder finanzieren. Dazu Neu: »Ich finde das Agentengesetz in Russland richtig. Ein solches gibt es übrigens auch in Israel und den USA. Wobei ich allerdings der Meinung bin, dass genauer zu prüfen ist, welche NGOs überprüft werden. Denn solche mit sozialem oder ökologischem Engagement sollten nicht unter das Gesetz fallen.« Eine Untersuchung der Fachzeitschrift »Osteuropa« aus dem Jahr 2016 zeigte zwar, dass ausgerechnet ökologische NGOs - neben Menschenrechtsorganisationen - am häufigsten verboten werden. Neu aber meint, dort, »wo es darum geht, politisch aktiv zu werden, da sage ich, das gehört überwacht, gemeldet und gegebenenfalls auch verboten. Denn es ist das Recht einer Gesellschaft, sich frei von äußeren Einflüssen zu organisieren und die Kräfteverhältnisse dürfen nicht von außen manipuliert werden.« Aber wo endet internationale Kooperation und wo beginnt Einflussnahme? Schließlich unterstützt auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung Organisationen und Initiativen vor Ort. Dazu hat die LINKE offenbar keine einheitliche Haltung.

Vor dem Hintergrund der erneuten Eskalation vor der Krim offenbart sich einmal mehr ein Widerspruch: Eine Mehrheit der Bundesbürger lehnt Auslandseinsätze ab, viele wünschen sich eine engere Kooperation mit Russland. Obwohl die LINKE als einzige Partei im Bundestag diese Haltung - trotz der Uneinigkeiten innerhalb der Partei - konsequent vertritt, bleibt sie mit ihren außenpolitischen Positionen in der öffentlichen Debatte randständig. Das sieht Bartsch allerdings nicht so. Die Partei sei zu einem »Faktor in der außenpolitischen Diskussion geworden«, sagt er.

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