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Der Reichtum der Anderen
Die Demokratische Republik Kongo ist reich, die Bevölkerung arm. Nun hat der Wahlkampf begonnen.
Von ihrem Arbeitsplatz aus könnte Adeline Naweza Muligi in die Ferne gucken, über die vielen Berge im Osten der Demokratischen Republik Kongo hinweg. So weit der Blick reicht, sind keine Dörfer, keine Straßen, keine Hochspannungsleitungen zu sehen. Aber die 40-jährige Kongolesin hat keine Zeit, ihre Blicke schweifen zu lassen. Stattdessen schaut sie konzentriert auf ihre Hände. In der rechten hält sie einen dicken Hammer, mit dem sie auf einen Stein einschlägt, den sie mit der linken festhält. Hunderte Schläge, Tag für Tag, und bei jedem Schlag hofft Adeline Naweza darauf, dass etwas von dem zinnreichen Erz Kassiterit zu Tage tritt, nach dem Hunderte Arbeiterinnen und Arbeiter in dieser Mine suchen. »Wenn ich genug finde, kann ich meinen Kindern abends etwas zu essen machen«, erklärt Adeline Naweza die Beharrlichkeit, mit der sie den Staub und die Schmerzen im Kreuz ignoriert.
1500 Kilometer entfernt residiert Joseph Kabila, der Noch-Präsident des rohstoffreichen Landes. Am 23. Dezember wählen rund 40 Millionen Kongolesinnen und Kongolesen einen neuen Präsidenten - wenn nicht doch noch etwas dazwischen kommt. Die logistischen Schwierigkeiten in dem Land von der Größe Westeuropas sind riesig und die Zeit zu deren Lösung ist mittlerweile knapp. Aber die »Nationale unabhängige Wahlkommission« (CENI) versichert weiterhin, dass die Wahlen tatsächlich stattfinden werden - zeitgleich zur Präsidentschaftswahl werden auch ein neues Nationalparlament und neue Provinzparlamente gewählt. Selbst wenn das jetzt tatsächlich alles wie geplant läuft, kommt es zwei Jahre zu spät: Eigentlich hätten die Wahlen schon im Dezember 2016 stattfinden müssen, aber weil Kabila laut Verfassung nach seinen Amtszeiten nicht noch einmal antreten darf, hat er die Wahlen mit wechselnden Argumenten immer wieder verschleppt.
Der Auftakt des Wahlkampfs verlief Ende November ruhig und fast geräuschlos, nachdem Kongo monatelang ein politisches Pulverfass war. Immer wieder protestierten Tausende dagegen, dass Kabila die Wahl seit Ende 2016 verschleppte. Die Sicherheitskräfte schlugen die Proteste mit harter Hand und teilweise blutig nieder - Dutzende Demonstranten wurden getötet, Tausende verhaftet. Unter starkem internationalen Druck verzichtete Kabila schließlich doch und ernannte Anfang August seinen Nachfolger: den 57-jährigen ehemaligen Innenminister Emmanuel Ramazani Shadary, einen seiner engsten Vertrauten. In seiner Zeit als Innenminister war Shadary für die Sicherheitskräfte verantwortlich. Wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen hat die Europäische Union gegen ihn Sanktionen verhängt. Shadary wird für den Tod von Demonstranten verantwortlich gemacht. Die Bevölkerung kennt ihn entweder überhaupt nicht oder als Hardliner - wenige sind davon begeistert, dass Kabila ausgerechnet ihn als Nachfolger wählte.
Insgesamt haben sich 20 Kandidaten und eine Kandidatin für die Präsidentschaftswahl qualifiziert. Mehrere starke Oppositionsparteien haben sich auf den Kandidaten Martin Fayulu geeinigt. Die beiden einflussreichen Oppositionskandidaten Felix Tshisekedi und Vital Kamerhe haben ihre anfängliche Beteiligung an dem Bündnis kurzfristig wieder zurückgezogen und treten jetzt gemeinsam an. Der 55-jährige Tshisekedi ist der Sohn des verstorbenen Etienne Tshisekedi, der jahrzehntelang das Gesicht der Opposition war. Er hat zugesagt, Vital Kamerhe zum Premierminister zu machen, sollte er selbst die Präsidentschaftswahl gewinnen.
Die Minenarbeiterin Adeline Naweza hat den Namen Shadary noch nie gehört, auch die meisten anderen Kandidaten kennt sie nicht. »Wir hier im Landesinneren interessieren uns nicht so für die Politik«, sagt die Frau im blauen Overall fast entschuldigend. »Politik ist was für Gebildete.« Sie habe zwar ein kleines Radio, aber »um die politischen Nachrichten zu verstehen, muss man Französisch können«. Naweza war aber kaum in der Schule und spricht deshalb nur Suaheli. Ihren Kindern wird das später kaum anders gehen. Adeline Naweza und ihr Mann, der 80 Kilometer entfernt in einer Goldmine arbeitet, können sich die Schulgebühren für ihre sechs Kinder nur sehr unregelmäßig leisten. »So geht das hier den meisten«, sagt Naweza.
An guten Tagen verdient sie in der Mine genug für eine Mahlzeit, die alle satt macht. Nur an sehr guten Tagen bleibt danach noch etwas übrig: für Kleidung, Medikamente oder für Schulgebühren zum Beispiel. »Neuerdings werden die Kinder in der Schule zurückgeschickt, wenn ihre Eltern nicht bezahlt haben«, erklärt Naweza. »Für alle unsere sechs Kinder reicht es nicht. Aber für wen gibt man das Geld aus, wer muss zu Hause bleiben?« Wenn jemand aus der Familie ernsthaft erkrankt, reicht ihr Geld auch nicht. Kürzlich hat Adeline Naweza deshalb ihren vierjährigen Sohn verloren; er starb in ihren Armen, als sie ihn in einem stundenlangen Fußmarsch zum nächsten Gesundheitszentrum trug. Vermutlich war Adeline Naweza zu spät losgegangen, weil sie kein Geld für die Behandlung hatte. Erst viel zu spät hoffte sie darauf, dass die medizinischen Helfer ihren Sohn erst behandeln und dann nach Geld fragen würden. Oder sich auf Kredit seiner annehmen würden. Als sie schließlich doch losmarschierte, war es zu spät.
»Unsere Regierung tut nichts für uns«, sagt Adeline Naweza. Und dass sie wütend sei. Aber diese Wut schlägt meist in Niedergeschlagenheit und Resignation um. Die einzige Hilfe bekommen sie und die anderen gut 200 Arbeiterinnen in der Mine von der katholischen »Kommission für Gerechtigkeit und Frieden«, kurz CDJP. Die Mitglieder der CDJP versuchen, die Arbeitsbedingungen in den Minen wenigstens etwas zu verbessern. Die Frauen bekamen Arbeitskleidung, Siebe und andere Werkzeuge. Wer aussteigen will, bekommt Unterstützung dabei, sich eine neue Lebensgrundlage aufzubauen. Besonders dankbar ist Naweza dafür, dass die »Kommission für Gerechtigkeit und Frieden« die Kosten übernahm, als ein anderer ihrer Söhne schwer krank war. »Sie haben ihn sogar hier abgeholt und ins Krankenhaus gebracht.« Dass die anstehende Wahl doch eigentlich eine Chance wäre, die Verhältnisse durch einen Regierungswechsel zu verändern, ist Naweza als Gedanke fremd. »Die Politik hat mit unserem Leben nichts zu tun«, sagt sie. »Und außerdem sind die Politiker alle gleich. Sie wollen sich nur selbst die Taschen füllen«, fügt sie hinzu.
So wie Adeline Naweza sehen viele Menschen im Osten des Kongo und in anderen Landesteilen die Politik. Das Land ist reich an Rohstoffen, aber die Bevölkerung ist wegen Misswirtschaft und Korruption trotzdem arm. Das gilt auch für die Provinz Süd-Kivu im Osten des Landes, in der Adeline Naweza lebt. Es gibt Rohstoffe wie Gold, Kassiterit, Koltan und andere mehr. Konflikte um den Zugang zu den lukrativen Minen halten seit Jahren an, Flucht und Vertreibung machen die Menschen noch ärmer, als sie ohnehin waren. Naweza und ihr Mann waren früher Bauern; was sie ernteten, reichte für ein bescheidenes Auskommen.
Als der Krieg 2007 zum ersten Mal ihre Heimat erreichte, flohen sie mit ihren Kindern vor den Rebellen in den Busch. Als sie nach Monaten wieder nach Hause kamen, war ihr Feld verwüstet, waren die Vorräte und ihr Werkzeug gestohlen. Adeline Naweza und ihr Mann hatten keine andere Wahl, als in der Mine ihr Glück zu versuchen.
In den Jahren, die seitdem vergangen sind, kämpfen Naweza und ihr Mann Tag für Tag um das Nötigste zum Leben. Joseph Kabila ist in diesen Jahren reich geworden. Laut der US-amerikanischen »Congo Research Group« sind Kabila und seine Familie an 80 Unternehmen beteiligt - ein Reichtum, der in wenigen Jahren entstand. Kabilas persönliches Vermögen wird auf 15 Milliarden Dollar geschätzt, aufgehäuft seit 2001. Damals wurde sein Vater Laurent-Désiré Kabila im Amt ermordet. Joseph trat seine Nachfolge an, ohne Wahl und gerade mal 29 Jahre alt. Nur 17 Jahre später ist der damals jüngste afrikanische Staatschef vermutlich einer der reichsten Präsidenten des Kontinents. Dass er sich an die Macht klammerte, mag damit zusammenhängen. In seiner unrechtmäßigen Verlängerung der Amtszeit hat er noch einiges erreicht, um sich abzusichern. Die Nationalversammlung hat ein Gesetz verabschiedet, das ehemaligen Präsidenten Straffreiheit für Verbrechen garantiert, die sie während ihrer Amtszeit begangen haben. Außerdem bekommen sie dauerhaften Personenschutz und eine Residenz auf Staatskosten. Darüber hinaus hat Kabila die Zeit genutzt, um noch mehr seiner treuen Anhänger im Verwaltungsapparat und der Justiz zu platzieren. Und er bleibt Senator auf Lebenszeit, behält also politischen Einfluss.
Vielleicht hat Adeline Naweza also tatsächlich das zentrale Prinzip der kongolesischen Politik verstanden, obwohl sie sich so wenig für die Einzelheiten interessiert: Die Bevölkerung darf zwar wählen, aber ihr Stück vom Kuchen kriegt sie trotzdem nicht.
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