- Politik
- Soko Chemnitz
Künstlergruppe fahndet nach Rechtsradikalen
»Zentrum für politische Schönheit« veröffentlicht Webseite mit Fotos mutmaßlicher Randalierer aus Chemnitz
Einige Chemnitzer staunten am Montag nicht schlecht, als sie in der Innenstadt an einem Ladenfenster »Fahndungsaufrufe« von grimmig dreinblickenden Männern entdeckten. »Gesucht: 27. August 2018 - Teil der Fahnenflüchtigen von Chemnitz«, so die Beschriftungen. Gemietet wurde der Laden von der Künstlergruppe »Zentrum für politische Schönheit (ZPS)«.
Die Gruppe will mit ihrer neuen Aktion »Soko Chemnitz« auf die rechtsradikalen Ausschreitungen und Hetzjagden vom Sommer nach dem Tod des Deutsch-Kubaners Daniel H. aufmerksam machen - und die Verantwortlichen aus der Anonymität zerren. »Wir können die Entnazifizierung nicht mehr länger den Strafverfolgungsbehörden überlassen«, sagte der Leiter des Künstlerkollektivs Philipp Ruch am Montag auf einer Pressekonferenz in Berlin. Die rechte Szene habe in Chemnitz Macht demonstriert, die Politik »unentschlossen und zaghaft« reagiert. »Wir kümmern uns darum, weil es sonst keiner zu machen scheint«, so Ruch.
Jeden Tag lesen rund 25.000 Menschen unsere Artikel im Internet, schon 2600 Digitalabonennt*innen und über 500 Online-Leser unterstützen uns regelmäßig finanziell. Das ist gut, aber da geht noch mehr! Damit wir weiterhin die Themen recherchieren können, die andere ignorieren und euch interessieren. Hier mitmachen!
Neben dem Laden in Chemnitz hat die Künstlergruppe am Montag auch die Webseite soko-chemnitz.de vorgestellt. Dort soll sich eine Datenbank mit Fotos und Informationen von über 2000 Beteiligten der Krawalle befinden. Der Großteil der mutmaßlichen Demonstranten wurde mit abgekürztem Nachnamen und schwarzen Balken über den Augen dargestellt, es werden jedoch auch »Prominente« ohne Gesichtsverdeckung gezeigt. Bei diesen soll es sich um Funktionsträger etwa aus der Kameradschaftsszene oder der AfD handeln. Für die Identifizierung einiger Personen - laut dem ZPS Straftäter oder wichtige Zeugen - wird eine Belohnung ausgeschrieben.
Nach einer Identifizierung sollen Betroffene ihre eigenen Bilder auch entfernen lassen können - vorausgesetzt, sie würden eine »Selbstverpflichtung für den Rechtsstaat« unterzeichnen. Unter den dort aufgeführten 13 Punkten befindet sich auch eine Austrittsforderung für die AfD. »Tausende Stunden Recherche sind in dieses Projekt geflossen«, sagte Ruch. Das Material stamme aus öffentlich zugänglichen Quellen wie Facebookprofilen.
Vor allem Arbeitgeber der Rechten sollen mit der Aktion angesprochen werden. »Uns ist wichtig, dass sich das Umfeld damit auseinandersetzt«, sagte Ruch. Auf der Webseite kann man den Unternehmen Nachrichten hinterlassen, findet aber auch Vorlagen für Kündigungsschreiben. Die Künstlergruppe wolle pro Woche 50 Arbeitgeber kontaktieren. »Wenn die Unternehmen die Leute zur Demokratie zurückholen, begrüßen wir das«, sagt Ruch. Unter Umständen gäbe es »Kollateralschaden«. »Was wir nicht akzeptieren, ist Achselzucken«.
Offenbar lief für die Künstler nicht alles wie geplant. Eine Aktion vor dem Bundestag wurde am Montag kurzfristig abgesagt. 200 Fotos mussten aufgrund rechtlicher Bedenken von der Webseite entfernt werden.
Die Aktion des ZPS traf schnell auf Kritik. »Ein Fahndungs- und Denunziationsportal, in dem Teilnehmer der rechtsextremen Demonstrationen als ›AfD-Ratten‹ bezeichnet werden, unterminiert eine sachliche und fundierte Auseinandersetzung mit den Gefahren, die von rechtsextremen Mobilisierungen ausgehen«, sagte Levi Salomon, Sprecher des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus. Mit seiner Aktion habe das ZPS die journalistische Glaubwürdig der Organisation diskreditiert, künftige Arbeit im Feld »erschwert und gefährdet«. Da man eine Kooperationsanfrage zuvor abgelehnt hatte, wolle man nun mit rechtlichen Schritten gegen die unerlaubte Verwendung von eigenen Fotos vorgehen.
Die sächsische Landesregierung mahnte wiederum die Künstlergruppe ab, da diese das Logo der sächsischen Standortkampagne »So geht sächsisch« auf ihrer Webseite benutzt. »Die Aktion steht in keinem Zusammenhang mit der Kampagne«, sagte Regierungssprecher Ralph Schreiber. Die rechtsradikale Wählervereinigung »Pro Chemnitz« plant nach eigener Aussage ebenfalls rechtliche Schritte gegen die Künstler. »In Chemnitz hat ein ›Laden‹ eröffnet, welcher dadrauf abzielt Demonstrationsteilnehmer zu denunzieren und diese möglichst arbeitslos zu machen. Dies können wir nicht dulden«, erklärte die Vereinigung in sozialen Netzwerken. Ein Facebook-Nutzer schrieb unter Klarname darunter: »Macht den Laden einfach platt.« Das übernahm da bereits jemand anderes. Die Polizei hatte sich am Montag Zutritt verschafft, um die Plakate zu entfernen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.