Werbung

Sieben Stunden Kessel für eine Festnahme

Über 1300 Fußballfans von Rapid Wien wurden am Sonntag in Wien stundenlang von der Polizei eingekesselt - Beobachter sehen das als Revanche für eine Anti-Polizei-Aktion

  • Michael Bonvalot
  • Lesedauer: 3 Min.

Das große Wiener Fußballderby zwischen dem FK Austria Wien und dem SK Rapid Wien ist das Spiel der Spiele im österreichischen Fußball. Doch über 1300 Fans von Rapid konnten das Auswärtsspiel ihrer Mannschaft diesmal nicht im Stadion der Austria verfolgen. Stattdessen wurde der Fanmarsch der »Grün-Weißen« von der Wiener Polizei bis zu sieben Stunden lang bei Minusgraden im Freien festgesetzt, alle Anwesenden wurden einer Identitätsfeststellung unterzogen.

Laut Polizei wurde die Massenkontrolle des Fanmarsches durchgeführt, nachdem kurz nach 15 Uhr einige Rapid-Fans die Brücke über eine Autobahn passiert hatten. Dabei handelt es sich um die Wiener Südosttangente, die am meisten befahrene Autobahn des Landes. Videos der Polizei aus einem Helikopter zufolge kam es dabei zum Wurf von weißen Gegenständen - vermutlich von Schneebällen. Die können für fahrende Autos durchaus gefährlich sein.

Stärkt unabhängigen linken Journalismus...

Jeden Tag lesen rund 25.000 Menschen unsere Artikel im Internet, schon 2600 Digitalabonennt*innen und über 500 Online-Leser unterstützen uns regelmäßig finanziell. Das ist gut, aber da geht noch mehr! Damit wir weiterhin die Themen recherchieren können, die andere ignorieren und euch interessieren. Hier mitmachen!

Unmittelbar danach kesselte die Polizei den gesamten Fanmarsch ein - auf einem Trampelpfad unmittelbar neben der Autobahn. Gegenüber »nd« weist Helmut Mitter von der Rechtshilfe Rapid auf diesen Umstand hin: »Wenn die Polizei der Meinung ist, dass hier eine Gefahrensituation besteht, wirkt es seltsam, wenn sie dann selbst diese Gefahrensituation über sieben Stunden lang aufrechterhält.«

Laut Polizei wurden in den folgenden Stunden insgesamt 1338 Identitätsfeststellungen durchgeführt. Für die Eingeschlossenen bedeutete die Wartezeit eine Tortur, wie mehrere Fans gegenüber »nd« berichten und in den sozialen Netzwerken beschreiben. Bei rund zwei Grad unter Null wären etliche Menschen wegen Unterkühlung kollabiert. Die Polizei spricht von »lediglich« drei Personen, die von der Rettung abtransportiert werden mussten sowie 22 Hilfestellungen durch Polizeisanitäter. Erst gegen 22 Uhr konnten die letzten Menschen den Kessel verlassen.

Die Polizei schreibt in einer Mitteilung, dass am späteren Abend Wasser und Tee verteilt worden seien, »nd« konnte das vor Ort nicht beobachten. Unbestritten ist, dass es für die Eingeschlossenen weder Nahrung noch Sanitäranlagen gab. Männer und Frauen mussten ihren Toilettengang mitten im Kessel verrichten. Laut SK Rapid waren im Kessel auch Frauen, Kinder sowie eine junge Frau, die aufgrund ihrer Diabetes-Erkrankung Insulin benötigt.

Die Polizei spricht in ihrer Bilanz von einer Anzeige sowie einer Festnahme. Es sei nicht verhältnismäßig dafür 1300 Menschen sieben Stunden festzuhalten, kritisieren Beobachter. Doch viele Fans fragen sich ohnehin, ob der Bewurf der Autobahn nur ein Vorwand gewesen ist.

Der wahre Hintergrund des Kessels könnte ein anderer gewesen sein: Unter dem neuen FPÖ-Innenminister Herbert Kickl wollte die Polizei Stärke demonstrieren. Die ÖVP-FPÖ-Regierung rüstet die Polizei gegenwärtig massiv auf, unter anderem mit Sturmgewehren und berittenen Einheiten. Als die aktive Fanszene von Rapid am Donnerstag bei einem Spiel der Europa League eine Choreografie mit der Buchstabenkombination 1312 präsentierte, war das für die Polizei zweifellos ein Affront. Denn 1312 steht für ACAB – All Cops Are Bastards. Viele Fans mutmaßen nun, dass es sich beim Kessel am Sonntag um eine Antwort der FPÖ-geführten Polizei handelt. Auch Helmut Mitter sagt: »Eine solche Polizeiaktion hätte es vor Schwarz-Blau vermutlich nicht gegeben.«

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -