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Vom Fan zum Siegspringer
Karl Geiger ist beim Auftakt der Vierschanzentournee in seinem Heimatort Oberstdorf Deutschlands Hoffnungsträger
Der Oberstdorfer Karl Geiger war schon als Kind regelmäßig beim Auftaktspringen der Vierschanzentournee als Fan an der Schanze. Eine seiner ersten lebhaftesten Erinnerungen ist ein Sieg von Martin Schmitt, der zwischen 1998 und 2000 dreimal in Serie am Schattenberg triumphierte: »Das war schon ziemlich cool.«
Diesmal ist Geiger selbst der größte Hoffnungsträger der deutschen Skispringer. Sein einstiges Idol Martin Schmitt traut ihm beim am Wochenende in Oberstdorf beginnenden Skisprung-Grand-Slam einfach alles zu: »Wer bei der Generalprobe in Engelberg gewinnt, kann auch die Tournee gewinnen. Mich erinnert die Situation ein bisschen an die der Österreicher - die hatten bei der Tournee auch eine lange Durststrecke wie die Deutschen heute. Und dann hat nicht einer der Stars wie Thomas Morgenstern oder Gregor Schlierenzauer den Bann gebrochen - sondern mit Wolfgang Loitzl ein Mann aus der zweiten Reihe.«
Zehn Jahre ist es her, als Loitzl den ersten Austria-Tourneegesamtsieg nach neun Jahren feierte. Die Deutschen warten inzwischen sogar seit 17 Jahren auf einen Triumph. Eine verflixte Situation auch für Bundestrainer Werner Schuster, der in seiner Ära als Bundestrainer seit 2008 ansonsten alle anderen wichtigen Titel gewonnen hat. »Das würde ganz gut passen, wenn man so lange auf einen Tourneegesamtsieg wartet und dabei immer an die Namen Wellinger, Freund oder Freitag denkt. Und am Ende schafft es jemand ganz anderes. Aber sowas kann man nicht herbeireden, das muss einfach passieren.«
Passiert ist bei Karl Geiger ist in den letzten Monaten so allerlei Überraschendes. Im Februar gehörte der groß gewachsene Allgäuer zum deutschen Team, das in Pyeongchang Olympiasilber im Mannschaftswettbewerb gewann. Das war so etwas wie der Knotenlöser für den eher introvertierten Mann, der zuvor immer im Schatten seiner prominenten Teamkollegen stand. Mit Platz zwei in der Gesamtwertung beim Sommer-Grand-Prix deutete er seine neuen Ambitionen an, ehe er sich nun im Winter endgültig in der Weltspitze etabliert hat.
»Karl hat noch einmal einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht - sportlich, genauso wie im Kopf und in der Entwicklung seiner Persönlichkeit«, lobt Bundestrainer Schuster. Genau wie der zweite deutsche Aufsteiger Stephan Leyhe habe Geiger durch Olympiasilber die Sicherheit, in der Karriere nicht mit leeren Händen dazustehen: »Das hat beiden einen riesigen Boost gegeben und die sportliche Hierarchie im deutschen Team auf den Kopf gestellt.« Geiger landete bei den letzten drei Weltcupspringen jeweils unter den besten Fünf und feierte bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg seinen ersten Weltcupsieg. So ist er nun statt der zuletzt formschwachen Olympiasieger Andreas Wellinger und Severin Freund sowie des körperlich angeschlagenen Richard Freitag die zarte deutsche Hoffnung auf den langersehnten Gesamtsieg.
»Karl Geiger ist der Gegenentwurf zu den leichten Springern wie Ryoyu Kobayashi oder Kamil Stoch und macht den größer gewachseneren Athleten wieder Hoffnung. Er hat eine unheimlich gute Absprungkraft, eine stabile Technik, ist ein Wettkampftyp und bringt die Konstanz mit, um auch so einen Wettbewerb wie die Tournee zu gewinnen. Vielleicht muss ja ein Oberstdorfer her, um den Bann für die Deutschen zu brechen«, meint ZDF-Experte Toni Innauer.
Der Familienname Geiger ist im Skisport gleich in mehreren Disziplinen das Synonym für Weltklasse. Bei Olympia in Südkorea gehörten auch Slalomspezialistin Christina Geiger und der Kombinierer Vinzenz Geiger zum deutschen Team. Vinzenz wurde Team-Olympiasieger. »Ich glaube, Vinzenz ist mein Groß-Groß-Groß-Cousin. Mit Christina bin ich meines Wissens nicht verwandt«, berichtet Karl Geiger mit einem Grinsen.
Die Familie mit Eltern sowie zwei Schwestern ist der große Rückhalt des Fliegers, der mit seiner Freundin zusammenwohnt. Geiger spielt in seiner Freizeit Harmonika, liebt das Gleitschirmfliegen und studiert Energie- und Umwelttechnik. »Das Studium ist mein zweites Standbein und eine Absicherung für später«, sagt er. Klingt genauso bodenständig, wie Karl Geiger nun mal ist.
So geht er auch nach seinem ersten Weltcupsieg in die Vierschanzentournee, obwohl er zu den Mitfavoriten zählt. »Ich kann doch entspannt starten, weil ich so gut wie nie zuvor springe. Außerdem haben wir viele gute Springer im Team«, sagt Geiger und fügt hinzu: »Natürlich ist es ein Ziel von uns, dass wir die Tournee nach so langer Zeit mal gewinnen. Aber das Wichtigste ist, dass wir unser Zeug machen.« Genau das hat auch Sven Hannawald immer gesagt. Als er sich vor 17 Jahren zum letzten deutschen Gesamtsieger krönte.
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