Fünftstärkste Kraft in Ostdeutschland

Quittung für 20 Jahre neoliberalen Sozialabbau: Der SPD glaubt in der Bundesrepublik nur noch eine Minderheit, sie könne eine Partei der Umverteilung nach unten sein

Würde jetzt der Bundestag neu gewählt, käme die SPD auf etwa 15 Prozent der Stimmen, glaubt man aktuellen Umfragen. Zum Vergleich: Bei der Bundestagswahl 2017 hatte sie 20,5 Prozent erhalten, das war ein Minus von mehr als fünf Prozent gegenüber 2013.

In Ostdeutschland ist die Lage für die Sozialdemokraten laut Umfrage für das »RTL/n-tv-Trendbarometer« von Mitte Dezember noch weit dramatischer als im Bundesdurchschnitt. Denn in den »neuen Ländern« kommen sie auf acht Prozent. Die SPD ist damit nur noch fünftstärkste Partei nach CDU (29 Prozent), AfD (26), Linkspartei (16) und Grünen (9). Und dem Spitzenpersonal von Parteichefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz traut nicht mal die eigene Wählerschaft zu, das Land als Kanzlerin bzw. Kanzler regieren zu können.

Trotz der katastrophalen Zustimmungswerte orientieren sich die Sozialdemokraten weiterhin nicht an jüngst erfolgreicheren Schwesterparteien wie etwa Labour in Großbritannien. Die hatten unter ihrem auch in der SPD als »Steinzeitlinker« belächelten Spitzenkandidaten Jeremy Corbyn im Sommer 2017 um fast zehn Prozentpunkte zugelegt und lagen nahezu gleichauf mit den Konservativen.

Immerhin: Im Herbst 2018, nach zwei weiteren verheerenden Niederlagen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, recycelte Andrea Nahles Corbyns Wahlkampfslogan und behauptete, ihre Partei mache Politik für »die vielen, nicht für die wenigen«. Doch von der Agenda 2010, dem neoliberalen Projekt von SPD-Altkanzler Gerhard Schröder und seinem damaligen britischen Amtskollegen und Labour-Chef Tony Blair, wollen die deutschen Sozialdemokraten sich trotz aller anderslautender Behauptungen nicht konsequent trennen. Im »Debattencamp« Mitte November in Berlin hatte Nahles zwar den von der Basis ersehnten Satz gesagt: »Wir werden Hartz IV hinter uns lassen« - und die Erarbeitung eines Konzepts für eine »tiefgreifende Sozialstaatsreform« angekündigt. Doch längst haben Nahles und andere Spitzenpolitiker ihre Aussagen von vor einigen Wochen relativiert. Was bleibt, ist lediglich ein kritischer Blick auf das mit Hartz IV kultivierte negative Menschenbild vom »faulen« Erwerbslosen.

Dabei sehen auch innerparteiliche Kritiker im von der SPD maßgeblich betriebenen Abbau von Sozialleistungen auf der einen und Steuergeschenken an die Reichen auf der anderen Seite einen wesentlichen Grund für den Aufstieg der AfD. Gesine Schwan, prominente Genossin und ehemalige Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin, hatte schon im März 2017 eine konsequente Abkehr vom Hartz-IV-System gefordert. Bekanntermaßen vergeblich.

Selbst nach dem Schock der Landtagswahlen entschied sich die Parteispitze für ein »Weiter so« in der Großen Koalition im Bund. Das sture Weitermachen und Schönreden von Mini-Erfolgen ist offenbar der Erkenntnis geschuldet, dass man bei Neuwahlen für lange Zeit in der Opposition sein Dasein fristen müsste. Und so verkündete Parteichefin Nahles am 5. November nach einer Vorstandsklausur, man habe sich »untergehakt« und werde, wie vor den verlorenen Wahlen geplant, erst im Herbst 2019 über den Verbleib in oder Ausstieg aus der Koalition entscheiden.

In Bayern war die SPD am 14. Oktober nur noch auf 9,7 Prozent gekommen und hatte damit im Vergleich zu 2013 mehr als die Hälfte der Stimmen eingebüßt. In Hessen erhielten die Sozialdemokraten zwei Wochen später immerhin noch 19,8 Prozent. Doch auch das entsprach einem Verlust von 10,9 Punkten.

Angesichts dessen wirken Forderungen wie die von Martin Schulz nach einer Urwahl des nächsten Spitzenkandidaten der SPD wie verzweifelte Gesundbeterei. Den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Donnerstagausgaben) sagte er, wenn »Personen mit ihren Programmvorstellungen im Wettbewerb« anträten, dann werde es »richtig spannend«. Der Mann, unter dessen Führung die SPD im Bund auf einen historischen Tiefstand absackte, drohte zudem an, eine führende Rolle im Europawahlkampf spielen zu wollen. Sein diesbezügliches Angebot werde »von der SPD auch angenommen«. Es werde »offizielle Auftritte im Wahlkampf geben, bei denen ich für meine Partei kämpfe«, es gebe bereits jetzt »eine Fülle von Einladungen«, sagte Schulz. Wo immer er könne, werde er die SPD-Spitzenkandidatin für das EU-Parlament (EP), Katarina Barley, unterstützen. Der ehemalige EP-Präsident versicherte zugleich, er strebe kein Amt an.

In Durchhalteparolen übt sich auch der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse. Innerparteilichen Kritikern der Fortsetzung des Mitregierens warf er am Donnerstag im Deutschlandfunk-Interview vor, sie seien »negativ fixiert«. Dabei sei die SPD »plötzlich wieder in eine Koalition« mit CDU und CSU »gezwungen worden«. In ihr hätten die Sozialdemokraten durchaus etwas geleistet.

Tatsächlich hatten sie im Dezember nicht mal den Mumm, die Streichung des »Werbeverbots« für Schwangerschaftsabbrüche aus dem Strafgesetzbuch gemeinsam mit der Opposition durchzusetzen.

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