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Gegen den Social-Zwang
Pro: Niemand sollte gezwungen sein, Facebook und Twitter zu nutzen - auch nicht Robert Habeck. Die einzigen, die davon profitieren, sind die Konzerne selbst.
Dass sich Grünen-Chef Robert Habeck von Twitter und Facebook zurück gezogen hat ist ein mutiger und berechtigter Schritt. Sein sprachliches Versehen in Bezug auf Thüringen erscheint als Grund dafür zwar übertrieben – aber der Grund ist in dieser Sache auch zweitrangig. Es darf kein Zwang bestehen, auf sozialen Medien aktiv zu sein – für niemanden. Auch nicht für einen Politiker.
Als Politiker hat Habeck die Verantwortung, mit der Parteibasis und den Wähler*innen in Auseinandersetzung zu gehen und sich an öffentlichen politischen Debatten zu beteiligen. Das kann er aber auch, indem er sich in der Presse äußert, an Podiumsdiskussionen teilnimmt, seine Positionen auf seiner Website veröffentlicht und auf Email-Anfragen antwortet - die Adresse findet man mit zwei Klicks, wenn man seinen Namen googelt. Twitter ist nicht der einzige Weg, mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren – und vielleicht nicht einmal der beste. Um differenziert und respektvoll miteinander zu diskutieren, ist Twitter bekanntlich nicht immer geeignet. Oft erscheint der Kurznachrichtendienst eher wie ein Marktplatz auf dem eine Unmenge an Stimmen durcheinander schreit und versucht, die Lauteste zu sein.
Der Grünen-Chef verlässt die sozialen Netzwerke lieber, anstatt Widerspruch gegen Hass und Hetze zu üben, Doch genau das wäre seine Aufgabe als Politiker, findet Robert D. Meyer.
Dass man in diesem Konkurrenzkampf um Aufmerksamkeit mal einen Tweet missverständlich formuliert, ist fast schon im System angelegt. Ebenso wie der undifferenzierte Hass: In der Eile des Informationsgedränges kritisieren viele Twitter-User Kommentare Anderer, ohne sie überhaupt richtig gelesen zu haben. Dazu kommen Trolle und Bots mit ihren rassistischen, sexistischen und allgemein menschfeindlichen Angriffen und Shitstorms. Twitter ist für Vieles nützlich – aber nicht immer für eine produktive politische Debatte.
Bei Facebook aktiv zu sein, bedeutet außerdem, einem der größten Konzerne der Welt persönliche Daten zur Verfügung zu stellen, mit denen dieser in der Vergangenheit nicht immer vertrauenswürdig umgegangen ist.
In sozialen Medien aktiv zu sein bedeutet Arbeit. Menschen werden dafür bezahlt, Social-Media-Strategien für Unternehmen zu entwickeln und Accounts zu betreuen. Als Einzelperson wird es vom privaten und beruflichen Umfeld oft wie selbstverständlich erwartet, diese Arbeit unbezahlt nebenbei zu machen. Das ist eine neoliberale Entwicklung, die uns mithilfe von sozialem Druck zu noch mehr Selbstausbeutung anhält. Wir können natürlich auch selbst von der Aufmerksamkeit profitieren, die wir uns über soziale Medien verschaffen können. Am meisten profitieren aber immer noch Konzerne wie Twitter und Facebook.
Wie hoch der soziale Druck tatsächlich ist, zeigen die vielen Reaktionen auf Habecks Social-Media-Rückzug. Gerade deshalb ist seine Entscheidung mutig: Er zeigt, dass es möglich ist, sich dem indirekten Zwang zu widersetzen – und dass es eine freie Entscheidung bleiben muss, ob man soziale Medien nutzt oder nicht.
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