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Für ein demokratisches Syrien

Der kurdisch-syrische Politiker Salih Muslim über den US-Abzug, eine Kooperation mit Assad und deutsche Waffen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 5 Min.

Der US-Präsident Donald Trump hat jüngst eine »Sicherheitszone« in Nordsyrien vorgeschlagen. Die Türkei will die Kontrolle in solch einer Zone ausüben. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Bezüglich der Sicherheitszone steht bisher nichts Konkretes fest, sie wurde lediglich in Tweets von Herrn Trump erwähnt. Herr Erdoğan will die Sicherheitszone unter türkischer Kontrolle haben, was de facto aber eine Besatzung der Region bedeuten würde. Dies ist nicht akzeptabel. Für uns wäre jedoch eine Sicherheitszone prinzipiell denkbar, wenn sie unter Kontrolle der Vereinten Nationen steht. Jede türkische Beteiligung würden wir als Besatzungsversuch bewerten.

Zur Person
Salih Muslim ist außenpolitischer Sprecher der Demokratischen Föderation Nordsyrien, auch bekannt als Rojava. Der kurdisch-syrische Politiker war von 2010 bis 2017 Ko-Vorsitzender der Partei PYD. Er ist zudem stellvertretender Koordinator des Nationalen Koordinationskomitees für Demokratischen Wandel.

Hatte Sie die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, die US-Truppen aus Syrien abzuziehen, überrascht?

Der Truppenabzug ist die Entscheidung der US-Amerikaner. Der Abzug kommt jetzt früher, als er in der Vergangenheit in den Raum gestellt wurde. Noch eine Woche vor den Äußerungen von Herrn Trump wurde von US-Offiziellen gesagt, dass die USA noch bleiben würden. Man müsse drei Ziele erreichen, hieß es: Den »Islamischen Staat« (IS) besiegen, Stabilität in Syrien erreichen, die iranische Präsenz im Land zurückdrängen. Diese drei Ziele sind noch nicht erfüllt. Die Ankündigung war daher für jeden eine Überraschung, selbst für die US-Administration. Es war der falsche Zeitpunkt. Der US-Truppenabzug wird das Kräftegleichgewicht im gesamten Nahen Osten beeinflussen.

Wie lange wird der Truppenabzug voraussichtlich dauern?

Wir wissen es nicht. Erst war die Rede von drei Monaten, dann von vier Monaten. Die Entscheidung wurde aber getroffen, das ist klar.

Die Präsenz von US-Truppen in Nordsyrien bot relativen Schutz vor der Türkei. Wie hoch ist nun die Gefahr einer Invasion?

Die türkischen Kriegsdrohungen sind eine ernsthafte Gefahr. Ankara hat bereits Soldaten zur syrischen Grenze verlegt. Wir versuchen unser Militärbündnis der Syrisch-Demokratischen Kräfte und die Bevölkerung so gut vorzubereiten, wie wir können.

Was droht bei einer türkischen Invasion?

Es droht eine Besatzung von weiten Teilen Syriens, schon jetzt hält die türkische Armee dabei die Region um Afrin besetzt. Eine Invasion würde zudem den IS stärken. Noch sind die Dschihadisten nicht besiegt. Ein türkischer Angriff würde ihnen Zeit zur Neuaufstellung schenken, da ein Teil unserer Einheiten von der Front abgezogen werden müsste. Falls es zu einem Angriff kommt, bleibt auch die Frage, was mit den zahlreichen IS-Gefangenen geschieht. Wir haben fast 1000 Dschihadisten in unseren Gefängnissen. Die Türkei hat den IS seit Jahren unterstützt und finanziert. Sie hätte dann die Möglichkeit, diese Kämpfer freizulassen.

Trump hat vorgeschlagen, dass der türkische Präsident Recep Erdoğan den Kampf gegen den IS anführen könnte.

Die Behauptung, dass die Türkei gegen den IS kämpft, ist nicht wahr. Die Türkei kämpft nicht gegen Dschihadisten, sie benutzt sie zur Erreichung ihrer Ziele. Bei der Eroberung von Afrin hat Ankara auf IS-Kämpfer zurückgegriffen, bei den Kämpfen in der Provinz Idlib auf andere dschihadistische Gruppen.

Kann ein Bündnis zwischen der nordsyrischen Selbstverwaltung und dem syrischen Regime eine türkische Invasion verhindern?

Von Beginn des Konfliktes an haben wir uns für ein demokratisches und dezentralisiertes Syrien eingesetzt. Es gab bereits zuvor mit dem Regime Gespräche dazu. Noch gibt es keine Vereinbarung. Zur Zeit finden jedoch neue Gespräche statt. Eine Delegation ist nach Moskau gereist, um einen Fahrplan für die Syrienkrise zu präsentieren. Die Verhandlungsgruppe wurde von dem Demokratischen Rat von Syrien entsandt, der alle ethnischen Gruppen aus Nordostsyrien repräsentiert, unter anderem auch Araber und syrische Christen. Unser Vorschlag wird derzeit von Russland und dem Regime diskutiert. Wir warten auf ihre Antwort.

Was ist Bestandteil des Fahrplans?

Der Fahrplan sieht eine Berücksichtigung der kurdischen Frage wie auch eine politische Lösung für ganz Syrien vor. Unser Vorschlag ist ein dezentralisiertes, föderatives System. Dazu gibt es aus unserer Sicht keine Alternative.

Um die Stadt Manbidsch herum patrouillieren bereits Regime-Soldaten neben Einheiten der Selbstverwaltung. Ist dies Teil der Verhandlungen?

Der autonome Militärrat von Manbidsch, der die Stadt beschützt, hat Beziehungen zur syrischen Armee aufgenommen. Sie hält einige Beobachtungsstellungen an der Front zur türkischen Armee. Die Abmachung gilt aber nur für diese spezielle Region, sie ist nicht Bestandteil des von uns präsentierten Fahrplans.

Falls es zu einer Kooperation mit dem Regime kommt: Wächst damit die Gefahr einer Niederschlagung der Selbstverwaltung?

Unser Gegner ist der »Islamische Staat«. Das Regime muss sich jedoch ändern, es muss demokratisiert und von der Bevölkerung akzeptiert werden. Es gibt kein Zurück zu dem Syrien von 2010.

Wie soll die Zukunft des syrisches Machthabers Baschar al-Assad aussehen?

Über die Zukunft von Herrn Assad sollte in einem demokratischen System die syrische Bevölkerung entscheiden.

Braucht es mehr internationale Unterstützung für eine politische Lösung des Syrienkonfliktes?

Wenn wir die Chance bekämen, unseren Fahrplan für eine politische Lösung in Syrien bei den UN-Friedensgesprächen in Genf vorzutragen, wäre dies ein Fortschritt.

Gibt es bestimmte Forderungen an die deutsche Regierung?

Deutschland kann eine konstruktive Rolle im Syrienkonflikt einnehmen. Es könnte unter anderem Druck ausüben, damit die Türkei ihre Invasionspläne aufgibt. Weiterhin sollte Berlin dafür sorgen, dass keine weiteren deutschen Waffen von der türkischen Armee in Syrien eingesetzt werden. Als dies bei der Eroberung von Afrin geschah, hatte die Bundesregierung geschwiegen. Der Export und der Einsatz solcher Waffen bei einem Angriffskrieg verstößt dabei gegen deutsches Gesetz.

Dieses Interview wurde am 22. Januar 2019 um die erste Frage ergänzt.

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