»Laden mit Naziutensilien finanziert«

Der Linkspartei-Politiker Volkmar Schöneburg zieht eine Bilanz des NSU-Untersuchungsausschusses

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses des Brandenburger Landtags neigt sich dem Ende zu. Wann ist mit dem Abschlussbericht zu rechnen?

Die Beweisaufnahme ist mit der Sitzung am 25. Januar voraussichtlich abgeschlossen. Danach wird der Abschlussbericht erarbeitet. Das dauert schätzungsweise bis Juni 2019, so dass er in der letzten Parlamentssitzung dieser Legislatur beschlossen werden könnte.

Volkmar Schöneburg

Der 1948 in Potsdam geborene Volkmar Schöneburg sitzt für die Linksfraktion im Untersuchungsausschuss des brandenburgischen Landtags zur organisierten rechtsextremen Gewalt und zum Behördenhandeln, vor allem zum Komplex Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) - so heißt das Gremium komplett. Eingesetzt wurde der Ausschuss vom Parlament am 29. April 2016, nachdem Politiker wie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linkspartei) das lange gefordert hatten. Nach jahrelanger Arbeit schließt der NSU-Ausschuss nun bald die Beweisaufnahme ab und beginnt danach mit der Arbeit am Abschlussbericht. Andreas Fritsche sprach mit dem Landtagsabgeordneten Schöneburg über ein erstes Resümee.

Foto: dpa/Ralf Hirschberger

Ein Grund für die Einsetzung des Ausschusses war die Frage: Hätte die Mordserie des NSU verhindert werden können, wenn Brandenburgs Verfassungsschutz die Hinweise, die er über seine Spitzel auf den Verbleib des untergetauchten NSU-Trios hatte, rechtzeitig an die richtigen Stellen weitergegeben hätte? Wie würden Sie diese Frage beantworten?

Fakt ist, dass der Verfassungsschutz Brandenburg im September 1998 durch seinen V-Mann Carsten Szczepanski alias »Piatto« verlässliche Informationen darüber hatte, dass die im Januar 1998 untergetauchten Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Bönhardt auf der Suche nach Waffen waren, um Raubüberfälle zu begehen, und dabei auch von namentlich bekannten Angehörigen der sächsischen »Blood & Honour«-Szene unterstützt wurden. Ein Sachbearbeiter des Verfassungsschutzes Brandenburg schätzte dies folgerichtig als eine Form von Terrorismus ein. Trotzdem sind die Informationen lediglich mit anderen Geheimdiensten, nicht aber mit den zuständigen Staatsanwaltschaften in Jena oder Chemnitz geteilt worden. Das brandenburgische Verfassungsschutzgesetz sieht das jedoch zwingend vor. Damit ist die direkte Einleitung strafprozessualer Maßnahmen verhindert worden.

Ob diese dann auch zur Ergreifung des Trios und damit zur Verhinderung der im September 2000 beginnenden Mordserie geführt hätten, ist aus meiner Sicht nicht auszuschließen. Zu bedenken ist jedoch, dass im Herbst 1998, also nach der Weigerung des Verfassungsschutzes, ein Behördenzeugnis für das Landeskriminalamt Thüringen zu erstellen, vom Amtsgericht Jena eigenständig Überwachungsmaßnahmen gegen den Ehemann von Antje Probst und gegen Jan Werner, von denen »Piatto« unter anderen seine Erkenntnisse hatte, veranlasst wurden, die dann allerdings nichts erbrachten. Die Verantwortung liegt daher nicht allein bei Brandenburg. Aber es kann quasi exemplarisch nachvollzogen werden, wie Geheimdienstarbeit den Aufbau des NSU ermöglicht hat.

Was waren die Motive des Verfassungsschutzes, die Informationen nicht weiterzugeben?

Es ging dem Verfassungsschutz definitiv um den Erhalt seines Spitzen-Spitzels. »Piatto« saß damals noch im Knast und wurde mit relativ hohem Aufwand abgeschöpft, auch in Kooperation mit der Justizvollzugsanstalt Brandenburg. Ganz offensichtlich bestand die Angst, er könne durch die Verwendung seiner Informationen in einem Strafverfahren gegen das spätere NSU-Trio und dessen Unterstützer Werner oder auch Probst enttarnt werden. Geschuldet ist dieses Dilemma aber nicht dem Einzelfall »Piatto«, sondern den strukturell unterschiedlichen Interessen von Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden. Während die einen wie ein großer Staubsauger - und das um jeden Preis - nur Informationen aufsaugen, versuchen die anderen, konkrete Straftaten aufzuklären. Der brandenburgische Verfassungsschutz hat dem eigenen Informationsinteresse eigenmächtig den Vorrang eingeräumt. Der »Quellenschutz« wurde absolut gesetzt. Ein nicht zu verteidigender Vorgang.

Hat der Ausschuss etwas Wesentliches zu Tage gebracht, das vorher zum NSU-Komplex nicht bekannt gewesen ist?

Wir haben eine ganze Reihe neuer Erkenntnissen gewonnen. Das betrifft nicht nur die Aufklärung des NSU-Komplexes in Brandenburg, sondern auch die Arbeit der Verfassungsschutzbehörde generell. So ist zu Tage getreten, dass der V-Mann-Einsatz in der rechten Szene in der Regel mehr Schaden als Nutzen bewirkt hat. Das hat nicht nur der Fall »Piatto« gezeigt, sondern auch der des V-Mannes Stadler und die Umstände des Geheimnisverrates im Verfahren gegen die »Nationale Bewegung«. Um rechte V-Leute, also aktive Neonazis, zu führen, wurden systematisch Gesetze verletzt. Es gab begünstigende Einflussnahmen auf Polizei und Justiz, zum Beispiel, indem vor Durchsuchungen oder Strafverfahren gewarnt wurde, aber auch massive finanzielle Zuwendungen für die V-Leute, inklusive Handys, Pkws und Computer, die mittelbar zum Aufbau der Naziszene beitrugen. Im Falle von »Piatto« wurde sogar ein kompletter Szeneladen mit Naziutensilien finanziert. Es gab aber auch - und das finde ich besonders erschreckend - die Planung und Ausführung von Straftaten durch die Verfassungsschutzbehörde selbst. So sagte uns der V-Mann-Führer von Stadler, dass die Produktion der berüchtigten CD »Noten des Hasses« im Jahre 2002, welche unter anderem einen Mordaufruf gegen die damalige Bundestagspräsidentin enthielt, bis in die Abteilungsleiterebene abgestimmt war.

Der von mir dazu befragte Verfassungsschutzchef Heiner Wegesin hat sich in der Sitzung des Ausschusses am 23. November 2018 dafür öffentlich entschuldigt. Das war bemerkenswert, weil das damals von Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) geführte Haus stets behauptet hatte, Stadler sei insoweit »aus dem Ruder gelaufen«. Im Grunde wäre damals aber ein eigener Untersuchungsausschuss notwendig gewesen. All diese Dinge sind jedoch keine »Ausrutscher«. Sie sind strukturell bedingt, quasi dem Spitzelsystem immanent. Das Bundeskriminalamt hat bereits im Jahre 1997 vor einem Brandstiftereffekt durch V-Leute gewarnt.

Der Ausschuss soll empfehlen, wie mit dem Verfassungsschutz künftig zu verfahren ist. Die CDU und die SPD befürworten eine personelle Aufstockung. Was halten Sie davon?

Die Frage einer Aufstockung stellt sich im Kontext der Ergebnisse des Untersuchungsausschusses nicht. Vielmehr ist beispielsweise die Frage zu beantworten, ob wir V-Leute zukünftig noch benötigen. Ich bin der Auffassung: Nein. Ihre Führung und ihr Agieren sind, wie gezeigt, tendenziell rechtsstaatswidrig. Die Ergebnisse ihrer Arbeit sind aus demokratischer Sicht überwiegend kontraproduktiv. Dieser Ansicht war übrigens auch Erardo Rautenberg, der frühere Generalstaatsanwalt Brandenburgs, den wir als Sachverständigen hörten. Ein »more of the same« ist jedenfalls nicht die Lösung der Probleme und schon gar nicht die passende Antwort auf den NSU-Skandal.

Die Linkspartei ist im Prinzip der Ansicht, dass auf Geheimdienste verzichtet werden sollte. Halten Sie das für vorstellbar?

Ich kann mir schon eine demokratische Gesellschaft ohne Geheimdienste vorstellen. Aber gegenwärtig ist die Durchsetzung einer solchen Vision illusionär. Von daher wären eine wirkliche strenge parlamentarische Kontrolle, die aktuell weitgehend leer läuft, der Ausbau der Innenrevision innerhalb des Geheimdienstes und noch engere rechtliche Vorgaben für seine Arbeit schon ein Erfolg. Eine Reduktion durch Eingrenzung wäre das. Dafür kann es dann schon ein Mehr an Personal geben.

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