Gewalt ist Gewalt ist Gewalt

Simone Schmollack ärgert sich immer wieder über Begriffe wie Familientragödie, die Partnerschaftsgewalt verschleiern

  • Simone Schmollack
  • Lesedauer: 4 Min.

Kurz vor Silvester wird die Polizei in die Wohnung eines älteren Ehepaars in Lüdenscheid im Sauerland gerufen - und macht einen grausigen Fund: Die 77-jährige Frau ist tot, bereits seit November. Sie war geschlagen worden und später an Erbrochenem erstickt. Der mutmaßliche Täter: der eigene Ehemann.

Ein Tag nach Weihnachten: Eine 86-jährige Frau im nordrhein-westfälischen Dülmen soll ihren Ehemann ermordet haben. Die Obduktion ergibt »massive stumpfe Gewalteinwirkung als Todesursache«.

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Mitte Dezember in Heidelberg: Ein Rentner erschießt seine Frau und seinen erwachsenen Sohn. Danach tötet er sich selbst. Nachbarn beschreiben die Familie »als ganz normale Leute«, die unauffällig in dem Hochhaus, in dem sich der Vorfall ereignete, lebten.

Drei zufällig ausgewählte Fälle von Gewalt in ihrer schärfsten Ausprägung. Verübt von Menschen an den ihnen am nächsten stehenden Personen: Ehefrauen, Ehemänner, Kinder. Die Wissenschaft hat dafür einen Begriff: Partnerschaftsgewalt. Was machen WDR, Berliner Zeitung und SWR daraus? In den drei genannten Fällen ist von einem »Familiendrama« die Rede.

Das ist kein alleiniges Phänomen dieser drei Medienhäuser, sondern ein allgemeines. Man kann darauf warten, dass eine Zeitung, eine Fernsehanstalt, ein Radiosender von einem »Familiendrama« sprechen, wenn ein Mann seine Frau umgebracht hat oder Frauen auf ihre Ehemänner mit dem Messer losgehen.

Seit Jahren und trotz regelmäßiger Hinweise durch Expert*innen verwenden viele Medien immer wieder diese Zuschreibungen. Häufig werden auch Vokabeln wie »Familientragödie« und »Beziehungstat« herangezogen. Bei Beteiligten mit Migrationshintergrund heißt es sogar häufig »Ehrenmord«.

Es stimmt natürlich, Opfer und Täter*innen kannten sich in all den oben genannten Fällen, es waren mal Familien. Doch die Begriffe »Tragödie«, »Beziehung«, »Ehrenmord« verschleiern, was eindeutig hinter den Taten steckt: Partnerschaftsgewalt. Die Vokabeln verwischen das Motiv und die Hintergründe solcher Übergriffe und machen aus ihnen so etwas wie »Unfälle«: Sollte nicht passieren, ups, ist es aber leider doch geschehen.

Partnerschaftsgewalt indes geschieht nie unabsichtlich und zufällig, sondern gezielt. Physische und psychische Gewalt sollen die Partnerin oder den Partner demütigen, herabwürdigen, ängstigen, verletzen, isolieren. Täter*innen wollen Macht über ihre Opfer, in vielen Fällen mit massiver körperlicher und seelischer Gewalt.

2017 wurden über 138 000 Frauen und Männer Opfer von Gewalt durch aktuelle Partner*innen und Ex-Partner*innen. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen, mutmaßt das Bundeskriminalamt. 82 Prozent der Opfer sind weiblich.

»Familientragödie« ist auch deshalb ein Euphemismus, weil er impliziert, dass die gesamte Familie einem unerwarteten Schicksal anheim gefallen ist, wie etwa bei einem Verkehrsunfall oder bei einer tödlichen Krankheit. Doch Partnerschaftsgewalt ist mitnichten ein plötzliches, unabwendbares Ereignis, sondern baut sich schleichend auf und verstärkt sich im Laufe der Zeit. Die Täter*innen unverfrorener und die Angriffe heftiger, sie erfolgen in kürzeren Abständen. 2017 endete die Gewalt im eigenen Zuhause für 147 Frauen mit dem Tod, sie wurden von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet.

Vielfach heißt es, die Opfer seien selbst schuld an den Taten des Partners, der Partnerin, sie hätten die Übergriffe schließlich »provoziert«: »Wie soll er sich denn sonst wehren? Sie ist ihm verbal doch total überlegen.« »Er geht immer fremd, da ist ihre Eifersucht nur allzu verständlich.« Solche »Argumente« sind besonders infam, denn kein Verhalten eines Menschen, und sei es noch so fragwürdig, rechtfertigt Gewalt. Die Verschleierung der Taten als »Familientragödie« ignoriert die Täter-Opfer-Konstellation.

Am stärksten geraten Frauen und Männer in die Gefahr, Gewaltopfer ihrer Partner*innen zu werden, wenn sie sich trennen wollen. Dann entziehen sie sich den Täter*innen, geben ihnen zu verstehen, dass deren Macht schwindet. Die sehen vielfach keinen anderen Ausweg, als zu schlagen, zu treten, zu boxen, zu brüllen. Das ist tragisch, ja, vielleicht auch eine unglückliche Situation, aber eben kein »Familienunglück«, sondern ein massiver, gezielter Angriff auf das Opfer.

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