Ein Tag nur Bodenhansa

Das Sicherheitspersonal an Flughäfen streikt für Rechte, die es vor Jahren durch Privatisierung verloren hat

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Frankfurter Großflughafen, Drehkreuz für den internationalen Luftverkehr, zeigt der ganztägige Streik Wirkung. Gähnende Leere herrscht am Dienstag in den Terminals. Gelangweilte Airline-Mitarbeiter sitzen an den Eincheck-Schaltern, vor denen sich sonst lange Schlangen von Passagieren mit ihrem Gepäck entlang winden. Auch an der rollenden Bar, an der Lufthansa-Beschäftigte gestrandete Kunden mit Softdrinks und Knabbereien bei Laune halten sollen, ist kaum ein Mensch zu sehen.

»Cancelled« - gestrichen - sind laut Anzeigetafeln die meisten Abflüge, weil niemand durch die bestreikten Sicherheitsschleusen kommt. Viele Reisende haben sich auf den Streik eingestellt und sind gar nicht erst zum Flughafen gekommen. Die Gewerkschaft ver.di hatte die Aktionen bereits am Freitag angekündigt. Aber auch unter denen, die überrascht wurden, überwiegt Gelassenheit: »Wenn Arbeiter streiken, haben sie recht«, sagt der Italiener Andrea Patton, der in der Nacht aus Johannesburg ankam und nun auf seinen Anschlussflug nach Verona wohl 24 Stunden warten muss. Auch die junge Juliette aus Straßburg, die am Dienstag nicht mehr nach Kairo kommt, zeigt Verständnis: »Wer streikt, hat immer sehr gute Gründe.« Dabei hatte ihr die Lufthansa am Vorabend noch Hoffnung auf einen planmäßigen Flug an den Nil gemacht. Weniger tolerant ist ein Londoner Banker, der auf der Flucht vor dem Brexit von der Themse an den Main umzieht und es für »lächerlich« hält, dass ein Streik die Finanzmetropole derart hart trifft.

Stärkt unabhängigen linken Journalismus...

Jeden Tag lesen rund 25.000 Menschen unsere Artikel im Internet, schon 2600 Digitalabonennt*innen und über 500 Online-Leser unterstützen uns regelmäßig finanziell. Das ist gut, aber da geht noch mehr! Damit wir weiterhin die Themen recherchieren können, die andere ignorieren und euch interessieren. Hier mitmachen!

Ein Meer von ver.di-Gelbwesten und Fahnen ist unterdessen zur Kundgebung an Tor 3 aufmarschiert. Viele halten übergroße 20-Euro-Scheine in die Luft, um ihre Forderung nach 20 Euro Stundenlohn zu unterstreichen, die dem Arbeitgeberverband BDLS ein Dorn im Auge ist. »Ich bekomme 17,13 Euro, und das ist zu wenig«, so ein Angestellter der bestreikten Firma Fra-Sec, einer Billigtochter des teilprivatisierten Flughafenbetreibers Fraport. »Die Führungskräfte sollten mal eine Woche lang unsere Arbeit machen, dann würden sie anders reden«, so der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. »Immer stehen, Tag und Nacht immer schön freundlich und immer die Angst im Nacken, dass man bei der Kontrolle was übersieht oder durch die Bildschirmarbeit Sehschwäche bekommt.«

Alle freuen sich, dass ihr Streik wirkt. »Ohne uns gibt’s nur die Bodenhansa«, hat sich einer auf ein Schild gemalt, das in Anspielung an das Lufthansa-Emblem einen flugunfähigen Kranich darstellt. »Nur im Märchen fallen Taler vom Himmel, im wirklichen Leben muss man dafür kämpfen«, so Hessens ver.di-Landesbezirksleiter Jürgen Bothner. Ohne ein vernünftiges Angebot der Arbeitgeber könne ein unbefristeter Erzwingungsstreik folgen, droht er. »Wer Wind sät, wird Sturm ernten«, ruft ein Gewerkschafter den Versammelten zu. »Die Sparexzesse müssen beendet werden«, fordert Karin Knappe vom Fraport-Konzernbetriebsrat.

Die Forderung nach 20 Euro brutto ist nicht aus der Luft gegriffen. Bis Anfang der 1990er Jahre wurde die Arbeit von Beschäftigten im Öffentlichen Dienst unter Regie des damaligen Bundesgrenzschutzes verrichtet. Die Weichen für die Privatisierung der Luftsicherheit wurden 1992 unter Kanzler Helmut Kohl gestellt. Seither wird die Arbeit nicht mehr von Polizeikräften des Bundes wahrgenommen, sondern über Ausschreibungen an private Firmen ausgelagert, die überwiegend Ableger internationaler Konzerne sind. Für die Beschäftigten bringt der Wettbewerb ständige Unsicherheit im Erwerbsleben. Der Personaldurchlauf ist hoch.

»Die Kollegen sind so sauer, dass sie jeden Tag quasi mit Fackeln und Heugabeln auf die Arbeit kommen«, so der Frankfurter ver.di-Sekretär Guido Jurock gegenüber »nd«. Er hat selbst lange in der Branche gearbeitet und erinnert sich an Zeiten nach der Jahrtausendwende mit Stundenlöhnen um acht Euro. Dies habe sich inzwischen durch Lohnkämpfe verändert. Allerdings gebe es in den privaten Firmen keine mit dem Öffentlichen Dienst vergleichbaren Zulagen oder eine betriebliche Altersvorsorge. Die Gewerkschaft will mit einem bundesweit einheitlichen Tarifwerk die großen regionalen Unterschiede überwinden. »Das Lohngefälle beträgt je nach Postleitzahl bis zu fünf Euro pro Stunde«, beklagt Jurock.

Auch Jörg Radek, Vizechef der DGB-Polizeigewerkschaft GdP, kann die 20-Euro-Forderung von ver.di gut nachvollziehen. »Die Luftfahrt ist die Achillesferse der inneren Sicherheit. Da können wir uns keine Leichtlohngruppen leisten«, so seine Überzeugung. »Man hat die Flugsicherheit verscherbelt und einen Dumpingtrend in der Wirtschaft und den öffentlichen Dienstleistungen losgetreten«, sagt Radek und fordert eine Rücknahme der Privatisierung sowie planbare Berufsperspektiven für die Sicherheitskräfte im hoheitlichen Bereich des Staates.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.