Riesen auf Übernahmetour
Lebensmittelkonzerne entdecken die neuen Bio-Ernährungstrends für sich.
»Schwarzbrot« oder »Gesundkost« hießen früher die kleinen Ökoläden in den städtischen Szenevierteln. Hinterm Tresen verkauften grün-rot politisierte Latzhosenträger krumme Karotten, alte Apfelsorten und Anti-AKW-Broschüren. Beliefert wurden sie von kleinen Höfen, die im Umland wie zu Großmutters Zeiten wirtschafteten. Ganz so heimelig mag nicht jeder den Beginn der neuen Ernährungstrends in Erinnerung haben. Heute aber sind die meisten inhabergeführten Ökoläden verschwunden; »Bio«, »Fairtrade« und »Vegan« gibt es im Supermarkt zu kaufen. Und auch die großen Lebensmittelkonzerne haben die nichtkonventionell produzierten Lebensmittel für sich entdeckt.
Dafür setzen sie auf Fusionen und Übernahmen. So hat der französische Lebensmittelriese Danone das vegan-vegetarische Großunternehmen White Wave Foods übernommen. Der Kekshersteller Bahlsen in Hannover hat den dänischen Bio-Riegel-Produzenten Rawbite geschluckt; und Amerikas Müsli-Ikone Kellogg kaufte den österreichischen Bio-Müsli-Hersteller Vita+.
Der Gesundheitstrend hat selbst Unternehmen erfasst, deren Produkte geradezu als Inbegriff ungesunder Ernährung gelten, Coca-Cola und Pepsi. Lange hatten die Getränkemultis ihre Dividenden jährlich erhöhen können. »Doch die jüngsten Branchenzahlen lassen aufhorchen«, warnte im April die französische Bank BNP Paribas. Der Absatz von Süßgetränken stagnierte - selbst in den USA.
Beide Konzerne reagierten: Coca-Cola hat den mexikanischen Tafelwasserproduzenten Topo Chico übernommen, Pepsi rief die Wassermarke »Bubly« ins Leben. »Der Wunsch der Konsumenten nach gesundem Essen verändert auch die Unternehmen, ja schickt sie selbst auf eine Art Gesundungsprozess«, meinen die Kapitalmarktexperten von BNP.
Dieser Prozess beschleunigt zugleich die sogenannte Konsolidierung der Branche: Die Großen werden immer größer, kleinere Unternehmen verschwinden oder werden aufgekauft. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung. »Die 50 größten Lebensmittelkonzerne erwirtschaften heute 50 Prozent des weltweiten Umsatzes in der Branche«, schreiben die Autoren.
Mittlerweile kommt es sogar zu branchenübergreifenden Zusammenschlüssen, etwa mit der Pharmaindustrie. Experten sprechen vom »Functional Food«. Beinhaltete Funktionsessen lange »nur« Vitamine, Mineralstoffe, Bakterienkulturen und ungesättigte Fettsäuren, ging die niederländisch-britische Unilever einen großen Schritt weiter. Ein Brotaufstrich wurde mit einem Phytosterin angereichert - ein Wirkstoff, der eigentlich in cholesterinsenkenden Tabletten enthalten ist.
Unter dem Motto »Gutes Essen, gutes Leben« verstärkt auch der Schweizer Nestlé-Konzern seine Aktivitäten in den Bereichen Gesundheit und Wellness, im Branchenjargon »Consumer Healthcare« genannt. Spekuliert wird über Zukäufe von Medikamenten, die rezeptfrei verkauft werden dürfen.
Dass ausgerechnet Großkonzerne etwas tun, um womöglich die Umwelt zu entlasten, stört viele Beobachter. Gesundes Essen sei kein Bilanzfaktor, sondern ein Kontrapunkt zum Gewinnstreben der Konzerne. Dagegen begrüßt der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft in Berlin die jüngste Entwicklung. Wenn die Nahrungsmittelproduktion nachhaltig umgebaut werden solle, müsse der »grüne« Transformationsprozess die gesamte Lebensmittelwirtschaft einbeziehen.
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