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Volkswagen ohne Feigenblatt
Gewerkschaftsbund IndustriALL suspendiert ein Rahmenabkommen mit VW
Der internationale Dachverband der Industriegewerkschaften industriALL hat das Globale Rahmenabkommen mit der Volkswagen AG »suspendiert«. Der Beschluss des 60-köpfigen Exekutivkomitees war offenbar schon im Dezember gefasst worden, wurde jedoch erst am Montag bekannt gegeben. Der Gewerkschaftsbund, in dem auch die IG Metall als weltweit größte Industriegewerkschaft vertreten ist, setzt damit ein deutliches politisches Signal gegen die gewerkschaftsfeindliche Haltung des US-amerikanischen VW-Managements in Chattanooga, Tennessee, wo das Unternehmen seit 2015 mit enormem juristischen Aufwand versucht, eine gewerkschaftliche Organisierung von Beschäftigten zu verhindern.
In dem 2002 geschlossenen Rahmenabkommen, der sogenannten Sozialcharta, erkennt VW »das Grundrecht aller Arbeitnehmer/-innen, Gewerkschaften und Arbeitnehmervertretungen zu bilden und ihnen beizutreten« an. Weiter heißt es: »Volkswagen und die Gewerkschaften bzw. Arbeitnehmervertretungen arbeiten offen und im Geiste einer konstruktiven, kooperativen Konfliktbewältigung zusammen.« Im Großen und Ganzen funktioniert das bei VW auch ganz gut. Auch Valter Sanches, Generalsekretär von industriALL, schreibt in der Pressemitteilung vom Montag: »Wir haben ansonsten überall in der Welt gute Arbeitsbeziehungen mit Volkswagen.« Doch in Tennessee, im gewerkschaftsfeindlichen Klima der US-Südstaaten, setzte VW auf Konfrontation, als die dortige Automobilgewerkschaft United Auto Workers UAW 2015 ankündigte, die Instandhaltungsbeschäftigten im VW-Werk Chattanooga vertreten zu wollen.
Nach US-Arbeitsrecht setzt dies voraus, dass die Gewerkschaft nachweisen kann, mehr als die Hälfte der Belegschaft organisiert zu haben. Dies kann durch einen einfachen Nachweis der Mitgliedszahlen (»card check«) geschehen – doch VW lehnte ab. Daraufhin leitete die Gewerkschaft über die US-Arbeitsbehörde National Labor Relations Board (NLRB) eine sogenannte »Gewerkschaftswahl« ein, bei der die Mehrheit der Wahlberechtigten für die UAW stimmte. Der Belegschaft hatte das Management im Vorfeld zugesichert, sich neutral zu verhalten und das Wahlergebnis anzuerkennen. »Im Fall, dass die UAW als Tarifvertretung der Instandhaltungsbeschäftigten gewählt wird, würden das Unternehmen und die UAW in Tarifverhandlungen treten«, heißt es in dem »nd« vorliegenden Schreiben des lokalen VW-CEOs Christian Koch an die Belegschaft.
Davon wollte VW später nichts mehr wissen: Als das NLRB das Ergebnis für rechtmäßig erklärte und VW aufforderte, Tarifverhandlungen aufzunehmen, ging das Unternehmen juristisch durch alle NLRB-Instanzen dagegen vor. Als das erfolglos blieb, klagte der Autobauer sogar vor einem Bundesberufungsgericht. Dieses verwies den Fall schließlich – nicht zuletzt auf Betreiben der VW-Anwälte – zur Neubewertung zurück ans NLRB. Hier hatten sich inzwischen in Folge der Trump-Wahl die Mehrheitsverhältnisse geändert – gewerkschaftsfeindliche Republikaner haben ein Übergewicht. VW versucht also, Trumps Politik zu nutzen, um ein legale und offiziell anerkanntes Wahlergebnis nachträglich für unrechtmäßig erklären zu lassen.
Die Selbstwahrnehmung bei VW ist eine andere: Man bekenne sich »klar dazu, die in der Sozialcharta verankerten Rechte weltweit anzuerkennen und umzusetzen«, erklärte ein Sprecher gestern auf Nachfrage. Eine Interessenvertretung der Beschäftigten sollte aber »einheitlich« sein und nicht nur »für einen Teil der Belegschaft« gelten. Deshalb habe man eine »Überprüfung der Wahlen auf ihre Rechtmäßigkeit« eingeleitet. Im Übrigen arbeite man derzeit mit dem Welt-Konzernbetriebsrat bereits »an einer neuen, weiter ausgebauten Sozialcharta«.
Fakt ist: VW verweigert den Instandhaltungsbeschäftigten in Chattanooga seit vier Jahren Mitbestimmung und gewerkschaftliche Vertretung. IndustriALL hat vor diesem Hintergrund offenbar keine Lust mehr, VW mit der »Sozialcharta« ein Feigenblatt zu bieten: »Solange sich das Unternehmen weigert, seine Verpflichtung aus dem Jahr 2002 mit IndustriALL zu erfüllen, sehen wir keine andere Alternative, als die Vereinbarung zu als suspendiert zu betrachten«, so Sanches am Montag. Auf Nachfrage bei industriALL in Genf hieß es gestern, derzeit liefen Diskussionen mit den Mitgliedsgewerkschaften über weitere Maßnahmen.
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