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Wissenschaft als Vorwand
Die Debatte um Grenzwerte für Schadstoffe macht das Versagen der Verkehrspolitik nur noch deutlicher
Die neue Debatte um angemessene Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide, ausgelöst von einer Stellungnahme einiger Lungenärzte, hat in kurzer Zeit weit über die Medizin hinaus Wellen geschlagen. Dabei wird an der Bildung der Fronten schnell klar, wem die Diskussion am Ende nützt. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sieht eine große Chance, endlich »Sachlichkeit und Fakten in die Dieseldebatte« zu bringen. Der »wissenschaftliche Ansatz« habe das Gewicht, den »Ansatz des Verbietens, Einschränkens und Verärgerns zu überwinden«. Auch der ADAC hat seine Liebe zur Wissenschaft entdeckt: »Wenn Bürger von Fahrverboten betroffen sind, müssen sie sich darauf verlassen können, dass die geltenden Grenzwerte wissenschaftlich begründet sind«, wie sich der Vizepräsident des Autoclubs, Ulrich Klaus Becker, äußerte. Immerhin reichte der ADAC den Prüfauftrag dorthin weiter, wo er hingehört, an die EU-Kommission. Und die Luftqualitätsrichtlinie steht ohnehin auf dem Plan der Kommission für 2019.
Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe machte sich gleich dafür stark, die Grenzwerte vorerst auszusetzen. Die Dieselfreunde sehen den bevorzugten Antrieb »auf der Basis fragwürdiger Obergrenzen systematisch kaputtgespart« und nähern sich damit der Verschwörungstheorie, die den Befürwortern der aktuellen Grenzwerte rein ideologische Interessen unterstellt.
Fakt ist, dass die Grenzwerte rechtlich bindend bleiben. Für den ADAC heißt das: Bund und Kommunen sollten nicht darin nachlassen, Fahrverbote zu vermeiden. Hiermit ist der Kern des aktuellen Aufruhrs erreicht: Die Unzufriedenheit mit den Fahrverboten in betroffenen Kommunen ist groß, die Lage unübersichtlich. So ist es keine Überraschung, dass sich auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund eine Neubewertung der Schadstoff-Messwerte wünscht. Dem liegt in etwa die Überlegung zugrunde, dass etwas, das Pendler von ihren Arbeitsplätzen fernhält, nicht richtig sein kann. Die Verantwortung der Kommunen für eine umweltfreundliche Mobilitätspolitik bleibt dabei ausgeblendet.
Warum kommen die Lungenärzte gerade jetzt mit ihrer Kritik? Eine Erklärung läuft darauf hinaus, dass in Zeiten unklarer politischer Entscheidungen die Möglichkeit für Populisten jeglicher Couleur steigt, Debatten zu bestimmen. Die etwas über 100 Lungenärzte sind eine relativ kleine Gruppe. Dass ein ehemaliger Verbandsfunktionär sich an die Spitze der Kritik stellt, wirft die Frage auf, warum denn dessen Sachverstand in den Vorjahren nicht zur Geltung kam (und wohl auch, welches Fahrzeug er präferiert). Hinzu kommt, dass die Kritik pauschal ist und nicht einzelne Untersuchungen angreift. Aber selbst der Präsident der attackierten Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin spricht von Lücken in einer umfangreichen Datenlage. Das mag ein kleines Zugeständnis unter Kollegen sein.
Die Lungenärzte »chaotisierten« die Debatte nur noch, findet hingegen Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. Der Politiker meint, dass es in der Forschung im Gegensatz zur Wortmeldung der Lungenärzte einen breiten Konsens gebe, die Stickoxidgrenzwerte sogar noch zu verschärfen. Auch den geltenden Grenzwerten liegen Studien zugrunde, ein Zusammenhang zwischen Luftschadstoffen sowie Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist demnach gegeben.
Entsprechende Reaktionen kamen auch aus der Fachwelt. Der stellvertretende Direktor des Zentrums für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum München, Holger Schulz, nannte es »irritierend und leichtfertig« von den Ärzten, die umfangreichen Forschungsergebnisse und hohen wissenschaftlichen Standards »so einfach vom Tisch zu wischen«.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) bezeichnete den Vorstoß der Lungenärzte als unverantwortliche Effekthascherei. »Die Frage ist doch, warum sich die Ärzte erst zu Wort melden, wenn das seit fast zehn Jahren geltende Recht zum Schutz der menschlichen Gesundheit ganz oben auf der politischen Agenda steht und endlich durchgesetzt werden soll«, sagte Martin Schlegel vom BUND Berlin. Mehrere Grünen-Politiker verwiesen darauf, dass die Grenzwerte dem Schutz von Risikogruppen wie Kranken, Kindern und Schwangeren dienten.
Mit Agenturen
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