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Mit Gott gegen Nazis
Diese linksradikalen Christ*innen ecken in der Kirche an - aber auch in der linken Szene.
Wenn Lukas das T-Shirt trägt, kommen ziemlich schnell die Blicke. Auf Demos, bei Aktionen, in linken Kneipen sowieso. Auf dem T-Shirt ist ein rundes Symbol zu sehen, das an das Logo der Antifaschistischen Aktion erinnert. Statt der Fahnen sieht man jedoch ein schwarz-rotes Kirchengebäude, dazu der Schriftzug: Antifaschistische Kirche.
Lukas ist Pfarrer in Ausbildung und linksradikal. Zusammen mit ein paar anderen hat er vor knapp zehn Jahren das Befreiungstheologische Netzwerk aufgebaut. Mittlerweile gibt es in ganz Deutschland Gruppen, zweimal im Jahr findet ein bundesweites Treffen statt. Es ist ein loses Netzwerk mit einem Ziel: Glaube und linke Politik zusammenzubringen.
Ein Hinterhof, irgendwo im Berliner Arbeiterstadtteil Wedding. In einem dunklen Raum mit knarrendem Dielenboden haben es sich Lukas und drei weitere Erwachsene um die 30 auf Sofas bequem gemacht. Auf einem Tisch liegen Croissants, Schokolade und französischer Käse, auf einem Stövchen dampft eine Teekanne. An den unverputzten Wänden hängen Demoposter und eine schwarz-rote Fahne, in einer Ecke stapeln sich Gemüsekisten. Der Raum erinnert eher an ein linkes Jugendzentrum. Manchmal finden hier die Gottesdienste der Gruppe statt, ein Kreuz sucht man vergeblich.
Die Kirche missbraucht biblische Botschaften
Wie kommen junge Menschen dazu, sich in der linksalternativen Partymetropole Berlin in einer christlichen Gruppe zu engagieren? »Hier werden Dinge vereint, die mir wichtig sind«, sagt Nora, während sie an ihrem Kräutertee nippt. Der Glauben spielte in ihrem Leben schon immer eine wichtige Rolle. Die Mutter ist Pfarrerin, der Vater wollte eigentlich ins Kloster. Während ihres Studiums lernte Nora das »Netzwerk« kennen - und fand Gleichgesinnte. Heute arbeitet sie in Berlin als Religions- und Politiklehrerin. Nora meint: Die Kirche missbrauche biblische Botschaften für eine menschenverachtende Politik. »Das vermindert für mich aber nicht die Kraft der befreienden Botschaften, die es genauso gibt.«
Das sieht auch Lukas so, der gerade seine Ausbildung als Pfarrer in einer Gemeinde am Berliner Stadtrand macht. Viele Dinge an der »bürgerlich-weißen Kirche« stören ihn. »Ich versuche aber, die Potenziale und linke Stimmen stark zu machen.« Bei seinen Predigten berichtet er regelmäßig von Demonstrationen, startet politische Diskussionen mit Gemeindemitgliedern und organisiert die Unterbringung von Geflüchteten in Kirchen. »Für mich ist es ein Erfolg, wenn durch mich nur zwei Menschen Dinge mitbekommen, die sie nicht so oft hören.«
Beten und demonstrieren
Auch Josephine machte vor einigen Jahren eine Ausbildung als Pfarrerin. Heute ist sie mehr im »Netzwerk« und in postkolonialen Gruppen aktiv, ist zusammen mit geflüchteten Frauen organisiert. Mit Kritik spart sie nicht: »Unsere rassistische, sexistische und antisemitische Welt wurde auch von den Kirchen mitproduziert.« Viele Christ*innen suchten immer wieder die Nähe zu reaktionären Ideologien. Diesen unheiligen Allianzen hat das Netzwerk den Kampf angesagt.
Doch was macht die Gruppe eigentlich genau? Einmal im Monat treffen sich die linken Christ*innen in Berlin. Es werden Bibeltexte gelesen, es wird gebetet, gesungen, diskutiert, gegessen. Und sie planen »Ausflüge«: zu antikapitalistischen Demonstrationen, Aktionen der Klimagerechtigkeitsbewegung, Blockaden gegen Naziaufmärsche.
Als im Jahr 2017 Vertreter des Arbeitskreises »Christen in der AfD« zu einer Diskussion auf dem Kirchentag eingeladen wurden, versuchte die Gruppe die Veranstaltung durch Gesang zu stören. Weil sich nur wenige an dem Protest beteiligten, fand die Diskussion trotzdem statt. Die Berliner Gruppe wurde aber zum ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Auch in diesem Jahr ging es für die Gruppe gegen die AfD. Mitte Januar demonstrierten sie in der sächsischen Kleinstadt Riesa gegen den Europaparteitag der Rechtsaußenpartei.
Innerhalb der Kirche kommt der Aktivismus der Gruppe nicht immer gut an - auch in vermeintlich liberalen Gemeinden. »Oft musste ich mir doofe Sprüche für meine kurzen Haare anhören oder mich dafür rechtfertigen, dass ich für Gott ein weibliches Pronomen benutze«, sagt Josephine. Insbesondere die T-Shirts mit den veränderten Antifa-Logos hätten viele gestört. Josephine meint: »Das T-Shirt haben wir vor allem drucken lassen, um mit dem Verkauf Antirepressionskosten zu bezahlen.«
Heute hat die Berliner Gruppe rund 15 Mitglieder. Viele davon studieren Theologie oder arbeiten in christlichen Gemeinden. Einige haben in Ländern des Globalen Südens gelebt. Der Name des Netzwerkes ist eine Anlehnung an die Befreiungstheologie in Lateinamerika. In den 1970er Jahren nahmen dort linke Christ*innen den Kampf gegen die brutalen Militärdiktaturen und die tief verwurzelten gesellschaftlichen Ungleichheiten auf. Marxistische Theorien trafen auf biblische Botschaften. Josephine meint: »Auch wir verbinden mit Gott Befreiung.« In Lateinamerika spielen Befreiungstheolog*innen bis heute eine wichtige Rolle - anders in Deutschland.
Wie, du bist Christ?
Antikirchliche Haltungen gelten in der deutschen Linken als Konsens, das »Netzwerk« eckt auch in linken Kreisen an. Die Irritation sei groß, meint Lukas, wenn er sich als religiös »oute«. Oft komme die Frage: »Wie, du bist Christ?« Dennoch verstecken Lukas und die anderen ihren Glauben nicht. Bei den antikapitalistischen Blockupy-Protesten verteilten die linken Christ*innen Flyer mit der Einladung zu einem Gottesdienst. »Da kamen aber nicht so viele Leute vorbei«, sagt Lukas und lacht. Ein anderes Mal stimmte die Gruppe bei einer Anti-Kohle-Demonstration ein religiöses Lied an. Niemand sang mit. Trotz viel Gegenwind will die Gruppe auch weiterhin versuchen, die Kirchen von links zu reformieren.
Damit haben sie durchaus Erfolg. So würden zumindest in Berlin immer mehr Kirchen aktiv Stellung gegen rechts beziehen. »Da spielt sicherlich auch unser Engagement eine Rolle«, meint Nora. Bei anderen Themen wie LGBTI-Rechten und Abtreibungen sieht es jedoch anders aus. Nora stört vor allem, dass sich die Kirche häufig heraushalte. »Sobald ich mich enthalte, positioniere ich mich.«
Gott ist Feministin
Einmal im Jahr marschieren Tausende Abtreibungsgegner*innen durch Berlin, um gegen den vermeintlichen Mord am ungeborenen Leben zu demonstrieren. Nora, Josephine und Lukas sind auch immer dabei - jedoch auf der Gegenseite. Das »Netzwerk« beteiligt sich an den Gegenprotesten, die von linken und feministischen Gruppen organisiert werden. »Wir wollen die Brücke angreifen, die die Kirche immer wieder zu menschenfeindlichen Einstellungen schlägt«, meint Josephine.
Bei den Blockaden geht es oft ruppig zur Sache, Gegendemonstrant*innen verkleiden sich als Hexen, rufen antikirchliche Sprüche. Oft wird auch mal die heilige Maria oder Gott verspottet, die Kirche pauschal diffamiert. Wie sich das anfühle? »Ganz ernsthaft, meistens rufen wir die Sprüche mit«, meint Nora. Den Kirchenhass kann sie teilweise nachvollziehen. »Ich will aber versuchen, dem reaktionären Verständnis beispielsweise andere Gottesbilder entgegenzusetzen.« Auch kürzlich war Nora mal wieder auf einer Demonstration. Sie trug ein Schild mit der Aufschrift: Mein Gott ist Feministin.
Dieser Text erschien zuerst bei www.supernovamag.de
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