Turbulenzen um Anklage gegen Salvini

Italiens Regierung räumt Mitverantwortung ein

  • Wolf H. Wagner
  • Lesedauer: 3 Min.

Das sizilianische »Tribunale dei Ministri« - ein Justizorgan zur Verfolgung von Regierungskriminalität, droht, den Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini unter Anklage zu stellen. Vorgeworfen werden dem Lega-Chef »Menschenraub« und »erpresserische Freiheitsberaubung« aufgrund seiner Weigerung, 174 Bootsflüchtlingen auf dem Küstenwachschiff »U. Diciotti« die Anlandung auf italienischem Boden zu erlauben. Tagelang waren die ausgezehrten und zum Teil kranken Menschen im vergangenen August in den italienischen Gewässern gekreuzt.

Die Koalitionspartner von der Fünf-Sternebewegung ließen durch ihren Spitzenvertreter im Kabinett, Vizepremier Luigi Di Maio, erklären, sie würden in einer parlamentarischen Abstimmung für einen Prozess gegen Salvini stimmen - der Minister habe eindeutig sein Amt missbraucht, dabei jedoch das Leben der Flüchtlinge gefährdet. Die Replik Salvinis ließ nicht lange auf sich warten: In einem offenen Brief an die Tageszeitung »Corriere della Sera« erklärte der Minister, er habe im Falle »Diciotti« zum Schutz Italiens gehandelt, wie es sein verfassungsgemäßer Auftrag war, und keineswegs als Privatperson oder Parteichef. Im Übrigen sei der Beschluss, die Flüchtlinge nicht in Italien von Bord zu lassen, in Abstimmung mit Regierungschef Giuseppe Conte und dem Ministerkollegen von M5S, Luigi Di Maio, gefasst worden. Eine Nachricht, die am Dienstagmorgen von den Sternepolitikern eingeräumt wurde. Aus der ursprünglichen Prozesszustimmung ist nun ein politisches Schwanken geworden.

»Die veränderten Umstände legen nahe, dass wir unsere Entscheidung über die Abstimmung zugunsten eines Prozesses gegen Salvini überdenken werden«, erklärte der M5S-Abgeordnete Emilio Carelli. Er gehe davon aus, dass auch Premier Conte und Vize Di Maio sich im Fall »Diciotti« selbst anzeigen müssten. Weitere Unruhe in die Debatte brachte Transportminister Danilo Toninelli: »Als Minister bin ich verantwortlich für den Transport auf See, Salvini dafür, was an Land geschieht. Die damalige Entscheidung war eine, die die gesamte Regierung getroffen hat, und als solche steht sie auch insgesamt einem Prozess zur Verfügung.« Ein Novum in der italienischen Geschichte.

Um die Spannungen in Rom etwas zu entschärfen, lenkte Di Maio nun im Falle des Flüchtlingsrettungsschiffs Sea Watch ein. Bislang hatten lediglich Oppositionspolitiker der Demokratischen Partei, Hilfsorganisationen sowie Vertreter der katholischen Kirche aus humanitären Gründen eine Anlandung der 47 Flüchtlinge in Sizilien gefordert. Salvini hatte dies bis zuletzt verweigert. Allerdings kritisierte der Sterne-Spitzenvertreter die NGO, sinnlos Tage in den italienischen Gewässern verbracht zu haben, statt zum Beispiel einen französischen Seehafen wie Marseille anzusteuern. »Nicht nur Italien begrenzt das nördliche Mittelmeer«, so Di Maio. Italien und Frankreich befinden sich seit längerem im Konflikt in Fragen der Flüchtlingsaufnahme und -weiterleitung. Der jetzige Affront dürfte die Spannungen zwischen Paris und Rom weiter erhöhen.

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