»Kiesinger, Nazi, abtreten!«

Beate Klarsfeld wird 80 - und befürchtet einen Erfolg der Rechten in Europa

  • Martina Zimmermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Paris. Die zierliche Frau mit den mittellangen braunen Haaren ist lebhaft, charmant, freundlich und sie redet schnell. »Solange man Ausdauer, Gesundheit und Energie hat, muss man weitermachen«, lautet Beate Klarsfelds Lebensmotto. So gibt sie es ihren zwei Kindern und den beiden Enkelkindern weiter, wie sie erzählt. Ihr Namen- und Datengedächtnis ist enorm. Das braucht sie auch in ihrem lebenslangen Kampf gegen Nazis und Neonazis. »Nazijägerin« wird Klarsfeld immer wieder genannt. Am 13. Februar wird die gebürtige Berlinerin, die seit Jahrzehnten in Paris lebt, 80 Jahre alt.

Mit den Worten »Kiesinger, Nazi, abtreten!« ohrfeigte sie am 7. November 1968 den damaligen Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger auf dem CDU-Parteitag in Berlin: Die berühmteste Ohrfeige Deutschlands kam auch in der internationalen Presse auf die Titelseiten. Kiesinger war 1933 in die NSDAP eingetreten und hatte seinen Kriegsdienst in der Rundfunkpolitischen Abteilung des Auswärtigen Amts geleistet, die damals Parolen von Deutschlands Größe und antisemitische Hetze verbreitete. Zuletzt war Kiesinger stellvertretender Leiter.

Dass dieser Mann deutscher Kanzler wurde, hatte Beate Klarsfeld zunächst in der französischen Presse angeprangert - sie lebte damals schon in Paris. Zur Welt gekommen ist sie 1939 in Berlin, wenige Monate vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Als Au-pair-Mädchen kam sie mit Anfang 20 nach Frankreich, war dann Sekretärin des deutsch-französischen Jugendwerks.

Nach der Ohrfeige in Berlin wurde die junge Frau noch am selben Abend wegen vorsätzlicher Beleidigung und Körperverletzung zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, musste die Strafe aber nicht antreten. Ein Jahr später wurde die Strafe in vier Monate auf Bewährung umgewandelt. Der Schriftsteller Heinrich Böll schickte ihr nach der Tat 50 rote Rosen, aber die meisten Deutschen sahen in ihr eine »Nestbeschmutzerin«.

Erst 2015 erhielten Beate und ihr Mann Serge Klarsfeld das Bundesverdienstkreuz für ihren Einsatz für die Aufarbeitung der NS-Verbrechen. »Die Deutschen haben viel verstanden«, sagte Beate Klarsfeld bei einem Gespräch in Paris im vergangenen Herbst rückblickend: »Es gibt heute Gedenkstätten, Unterricht in Schulen...«. Das sei zu ihrer Schulzeit nicht so gewesen.

Als erste »deutsche« Auszeichnung hatte sie 2009 den Georg-Elser-Preis bekommen, überreicht von Günter Wallraff. Im Jahr 2012 war Klarsfeld chancenlose Kandidatin der Linken für die Bundespräsidentschaft, 2015 erhielt sie dann das Bundesverdienstkreuz. »Da hab ich doch was geleistet, was ich nie gedacht hätte, als ich 1960 als Au-pair-Mädchen nach Paris kam.«

Ihren Ehemann Serge Klarsfeld hatte Beate auf einem Metro-Bahnsteig kennengelernt. Der in Bukarest geborene Jude erzählte der Berlinerin, wie er 1943 in Nizza der Gestapo entkam und dass sein Vater in der Gaskammer in Auschwitz gestorben war. Gemeinsam jagten die deutsche Protestantin, die Mitglied der deutschen evangelischen Gemeinde in Paris ist, und der jüdische Historiker in den folgenden Jahrzehnten Nazis in der ganzen Welt.

Den früheren Lyoner Gestapo-Chef Klaus Barbie, den sie 1971 in Bolivien aufgespürt hatten, brachten sie 1987 in Frankreich vor Gericht. 1971 hatten sie auch versucht, den ehemaligen Kölner Gestapochef und Pariser Polizeichef Kurt Lischka von Köln nach Frankreich zu entführen, damit ihm dort der Prozess gemacht werde. Lischka war mitverantwortlich für die Deportation Zehntausender französischer Juden.

Immerhin brachten sie auf diese Weise die »Lex Klarsfeld« voran: Ein deutsch-französisches Zusatzabkommen über die Strafverfolgung von Nazi-Verbrechern wurde 1975 ratifiziert. Lischka wurde 1979 der Prozess gemacht. Die Klarsfelds machten auch den SS Hauptsturmführer Alois Brunner ausfindig, der als Leiter eines SS Sonderkommandos für die Deportation von fast 130.000 Juden mitverantwortlich war. Auch wenn die ehemaligen Nazis oft zu alt waren für Prozesse oder nur ein paar Jahre absitzen mussten, meint Beate Klarsfeld: »Es war Aufarbeitung der deutschen Geschichte.«

Dafür wurde sie im Ausland vielfach ausgezeichnet. Die israelische Knesset schlug sie zwei Mal für den Friedensnobelpreis vor und verlieh ihr die israelische Staatsbürgerschaft. Der französische Staatschef Emmanuel Macron empfing das Paar im vergangenen Jahr im Elysée-Palast, Serge Klarsfeld erhielt das Große Kreuz der Ehrenlegion, Beate den Nationalen Verdienstorden.

»Für jemanden, der in Berlin und jemanden, der in Bukarest geboren ist, - keiner war ursprünglich Franzose -, ist das doch die beste Belohnung, dass uns die Französische Republik soviel Respekt zeigt«, sagt Serge Klarsfeld. Mit Blick auf Deutschland urteilt er über seine Frau: »Beate hat einen langen Weg zurückgelegt: Von einem Jahr Gefängnis zur Respektabilität.«

Doch heute gibt es erneut Nazis, Rechtsextreme und Populisten. »Die gab es schon in den 60er Jahren«, sagte Beate Klarsfeld in dem Interview im Herbst und erinnerte an Demonstrationen gegen die NPD, an denen sie teilgenommen hat: »Wir waren viel engagierter als die Jugend von heute.« Sie befürchtet weitere Überraschungen bei den Europawahlen im Mai: »Die Gefahr ist, dass die sich zusammentun in Europa.« epd/nd

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