Zehntausendfach unsinnig

Ulrike Wagener schafft die BAföG-Rückzahlung ab

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

»Der Staat lässt Dir für Deine BAföG-Rückzahlung viel Zeit - im Standardfall bis zu 20 Jahre.« Welch großzügige Geste der Chancengleichheit! Was aber als Beruhigung gedacht ist, bedeutet im Umkehrschluss, dass die Schulden bei geringem Verdienst ins Endlose verschoben werden. So ist dieser Satz auch eine stetige staatliche Mahnung: Du schuldest mir was!

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Das Bundesausbildungsförderungsgesetz kam 1971 unter Willy Brandt als kleine Revolution daher: leistungsunabhängig, nicht zurückzuzahlen und mit Rechtsanspruch. Bedingungslos war es dennoch nicht, sondern - wie heute - an die Einkommen der Eltern und Ehepartner*innen geknüpft. Unversehens war ein Jahr später der Höchststand erreicht: 44,6 Prozent aller Studierenden wurden mit BAföG-Zahlungen gefördert. Doch schon 1974 wurde, trotz heftiger Proteste, schrittweise ein fester Darlehensbetrag eingeführt. Unter Helmut Kohl steigerte sich das 1982 zum sogenannten »BAföG-Kahlschlag«: Die Förderung wurde zum Darlehen und die Förderquoten sanken auf 18 Prozent. Seit 1990 gilt das aktuelle Modell, bei dem die eine Hälfte als Zuschuss, die andere Hälfte als zinsloses Darlehen gewährt wird. Reformen gab es seither einige - derzeit zielt die Regierung auf eine höhere Förderquote -, doch das Darlehen bleibt. Seit 2001 gilt für die Rückzahlung eine Höchstgrenze von 10 000 Euro.

Aber warum liegt dem Staat eigentlich gerade an diesen 10 000 Euro so viel? Landet man nämlich als Akademiker*in beim Jobcenter, wird mit den Tausendern nur so um sich geworfen. Abseits der Arbeitslosenstatistik wird man in Coachings und Weiterbildungen aufgehoben. Eine viermonatige Weiterbildung im Bereich Kultur & PR etwa kostet das Jobcenter 5040 €. In einer beliebten Variante sitzen die Schüler*innen dabei allein mit Headsets in einem Computerraum. Die Lehrkraft ist nur virtuell zugeschaltet, sodass sie den Unterricht gleich in mehreren Städten parallel abhalten kann. So zahlt plötzlich der Staat einem Unternehmen viel Geld dafür, dass man um jeden Preis durch die 40-Stunden-Woche beschäftigt ist.

Im schlimmsten Fall hat man zu der Zeit den Brief mit der Rückzahlungsforderung schon bekommen. Denn die Regelstudienzeit ist nicht immer gleichbedeutend mit dem Studienende. Musste man während des Studiums jedes Jahr aufs Neue seine Eltern, Geschwister und Ehepartner*innen um die Darlegung ihrer Aktivitäten und Geldeinkünfte bitten, muss man nun wiederum erklären, warum man trotz der großzügigen Gabe des Staates immer noch keiner lukrativen Beschäftigung nachgeht. Als Konstante bleiben die Formulare und die 10 000 € im Hinterkopf. Wenn das die Idee der Chancengleichheit ist, dann verzichte ich gerne auf meine Weiterbildung.

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