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»Lieber an die Supermarktkasse«
Tausende Leichtathletiktrainer in Deutschland sind völlig unterbezahlt. Sie bilden trotzdem junge Sportler aus und beuten sich dabei selbst aus
Massig Überstunden, kaum Wochenenden, viel Schreibkram, wenig Geld: Anno 2019 müssen die meisten Leichtathletiktrainer in Deutschland bei ihrer Leidenschaft von (frischer) Luft und Liebe (zum Sport) leben. Dabei engagieren sich Tausende Übungsleiter nach ihrer eigentlichen Arbeit im Zweitjob noch für die Ausbildung junger Läufer, Werfer und Springer. Wer dabei Geld verdienen will, ist fehl am Platze.
»Der Trainerjob ist eher unbeliebt. Das Gehalt ist abartig niedrig, die Arbeitszeiten sind abartig hoch«, beschrieb Robert Harting jüngst das Problem. In 15 Jahren Hochleistungssport hat der Diskusolympiasieger seine Erfahrungen gemacht. Trainer? Nie! »Der Stuhl ist zu heiß, außerdem bin ich nicht geduldig genug«, antwortete der 34-Jährige einmal auf die Frage, ob er nach der Karriere Trainer werden wolle.
»Von Luft und Liebe kann letztlich keiner leben«, sagt Michael Deyhle, einer der erfolgreichsten deutschen Trainer. Deyhle hat Betty Heidler, Kathrin Klaas und viele andere Athleten zu Weltklassehammerwerfern geformt. Heidler war Weltmeisterin, Weltrekordlerin. Seit 2017 trainiert der 67- Jährige Talente in China. Von 2001 bis 2016 war er Bundestrainer, davor Honorartrainer.
Er selbst ist gut gestellt, hat aber auch seine Kollegen im Blick. »Es ist erschreckend, wie viele Trainer Honorarverträge haben oder in der Mischfinanzierung stecken. Das ist ein Drama«, meint Deyhle, der »Hochachtung« vor den Vereinstrainern habe, sich aber fragt, ob das allein mit dem Schulterklopfen für die vielen Ehrenamtlichen langfristig funktionieren kann. »Das wage ich zu bezweifeln.«
Deshalb fordert Deyhle ganz klar: »Die Honorarverträge müssen dringend abgeschafft werden! Da werden die Trainer wirklich über den Tisch gezogen werden. Die sind weder sozialversichert, noch haben sie eine Garantie für eine langfristige Beschäftigung«, warnt Deyhle. »Viele haben einen Nebenjob, denn kein Mensch kann von so einem Gehalt vernünftig leben.«
Thomas Röhler weiß, dass schon der Einstieg in den Trainerberuf eine Überwindung ist. »Ein Sportstudent würde sich doch lieber an die Supermarktkasse setzen, als Kinder durch die Halle zu scheuchen«, sagt der Speerwurfolympiasieger aus Jena zur Situation von Nachwuchstrainern und ihrer bescheidenen Vergütung.
Thomas Franzke macht es trotzdem. Im Januar hatte der Polizeiausbilder über 70 Stunden auf dem Zettel - als Trainer einer U16-Gruppe des TSV 1888 Rudow Berlin. Der ehemalige Dreispringer ist eben mit Leidenschaft dabei. »Ich mache das aus Liebe zur Leichtathletik. Ja, für ’n Appel und ’n Ei, könnte man sagen«, sagt der ehemalige Dreispringer, der »15 bis 20 Stunden pro Woche« bei der Leichtathletik ist: »Auch im Kopf.«
Aufwandsentschädigung für Training und Wettkämpfe: 4,50 Euro pro Stunde. Der Mindestlohn in Deutschland liegt ab dem 1. Januar 2019 bei 9,19 Euro. Fahrten im eigenen Pkw, zum Beispiel nach Kienbaum am vergangenen Wochenende, zahlt der 44-Jährige aus eigener Tasche. Immerhin: Für Trainingslager bekommt Oberkommissar Franzke vom Dienstherren fünf Tage Sonderurlaub.
Bundestrainer mit guten Gehältern, Übungsleiter in Vereinen mit Honorarverträgen oder in Mischfinanzierung, Spesen für Wettkampffahrten - die Unterschiede sind enorm. Dazu kommt oft die Unsicherheit: Wird mein Vertrag verlängert? Derzeit sind in Deutschland nur rund 200 Trainer und Trainerinnen in der olympischen Kernsportart hauptberuflich tätig - ein Viertel davon ist beim Deutschen Leichtathletik-Verband angestellt. In den gut 7700 Vereinen läuft nichts ohne Ehrenamtliche. Denn die oft klammen Vereine haben für angestellte Übungsleiter immer weniger Geld.
Bevor sein Musterschüler Röhler Olympiasieger und Europameister wurde, musste Harro Schwuchow für Trainingslager mit seinen Schützlingen noch Urlaub nehmen. »Seit der DLV mich mitfinanziert«, erklärt er, »habe ich alle Freiheiten. Bei mir funktioniert es mit der Mischfinanzierung eigentlich ganz gut.« Trotzdem weiß er, wie es noch besser ginge. In Skandinavien etwa sei das System auf Vereinsbasis organisiert, weiß Schwuchow von vielen Reisen in die traditionelle Speerwurfregion. »Würde ich mich in Göteborg als Trainer bewerben, könnte ich dort das Doppelte verdienen.«
In Deutschland sei es kompliziert, »junge, engagierte Leute für den Trainerjob zu motivieren. Mit dem Gehalt kann man überleben. Aber die Arbeitszeiten sind jenseits von Gut und Böse«, sagt Schwuchow. »Die administrativen Aufgaben nehmen überhand. Der Schreibkram: Papiere über Papiere, dazu Excel-Tabellen.«
Wolfgang Killing ist mit 65 Jahren im Ruhestand. Die Hälfte seines Lebens war er Bundestrainer und bis zum Vorjahr wissenschaftlicher Direktor der DLV-Akademie in Mainz. »Der größte Teil der Trainer macht seinen Job als Hobby, für wenig Geld. Viele dieser Freizeittrainer sind hoch qualifiziert und hoch motiviert«, sagt Killing und verweist auf zwei bedenkliche Nebeneffekte: »Ungewollt schwächen sie die Verhandlungsposition ihrer hauptamtlichen Kollegen.« Und: »Viele Trainer beuten sich selbst aus und arbeiten weit mehr als 40 Stunden in der Woche.« dpa/nd
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