- Sonntagsschuss
- 1. FC Nürnberg
Über das Wochenende hinaus denken
Christoph Ruf sympathisiert mit einem Nürnberger Überzeugungstäter und vermisst in Stuttgart Fußballsachverstand
In der vergangenen Woche ist etwas Bemerkenswertes passiert. Ein Spitzenfunktionär eines großen mittelständischen Unternehmens stand so lange zu seiner Überzeugung, bis er selbst seinen Job los war. Ein Verantwortungsträger, der Verantwortung übernimmt und sein Fähnchen nicht nach dem Wind dreht - was in der Autoindustrie undenkbar wäre, ist nun ausgerechnet im Fußball passiert.
Konkret geht es um den 1. FC Nürnberg, der an diesem Montag ohne Manager und mit einem Interimstrainerteam gegen Borussia Dortmund spielt. Es ist ein Verein, der mit wenig Geld und guter Arbeit in der vergangenen Saison aus der zweiten Liga aufgestiegen ist, dessen Kader aber qualitativ so dünn besetzt ist, dass ihm kaum Chancen zugebilligt werden, die Klasse zu halten. Geld schießt Tore, und Geld hat der Club nicht. Würde er neue Kredite aufnehmen, wäre die Existenz des Vereins gefährdet. Man kann diesen Verein, der weiter denkt als bis zum nächsten Wochenende, allein deshalb schon sympathisch finden. Der FCN gilt jedenfalls mangels Masse als schwächste Mannschaft der Liga - ein Urteil, das man nach diesem Wochenende allerdings revidieren muss, denn das, was der Vorletzte Hannover am Sonnabend in Hoffenheim zeigte, ist eigentlich nicht mehr zu unterbieten.
Nun hatte besagter 1. FC Nürnberg allerdings am vorletzten Wochenende blöderweise das wichtige Spiel bei ebenjenen Hannoveranern verloren, als Letzter beim Vorletzten. Das ist nicht gut, wenn man der Öffentlichkeit verkaufen will, dass man das Wunder ja vielleicht doch noch schafft. Doch FCN-Trainer Michael Köllner hatte öffentlich mal wieder nur Schönfärberei betrieben. Eine Mehrheit der Aufsichtsräte war so zum Schluss gekommen, dass der Trainer gehen solle. Damit war auch das Schicksal von Sportvorstand Andreas Bornemann besiegelt, der sich bis zuletzt für Köllner starkgemacht hatte. Er wäre mit Sicherheit noch im Amt, wenn er - je nach Perspektive - weniger opportunistisch oder weniger stur wäre. Doch da beim Club nur der zweiköpfige Vorstand eine Entlassung aussprechen kann, sich Bornemann und sein kaufmännisches Pendant Niels Rossow in der Trainerfrage am Schluss aber nicht mehr einig waren, musste der Sportvorstand weg, um sich vom Trainer trennen zu können.
Das wollten die Aufsichtsräte allerdings eigentlich mit aller Macht verhindern. »Borne« galt als Garant der wirtschaftlichen Konsolidierung, er sollte unbedingt gehalten werden. Er sollte halt nur das Offensichtliche einsehen: dass es mit diesem Trainer nicht mehr weitergeht. Doch Bornemann ging über keine der Brücken, die ihm das Gremium baute. Er ließ sich lieber feuern als gegen seine Überzeugung einen Trainer zu entlassen, von dem er meinte, dass er besser als jeder andere diese Mannschaft erreichen könne. So viel Charakterstärke nötigt einem selbst dann Respekt ab, wenn man die Trainerentlassung als solche richtig findet.
Wenige Stunden später wurde in Stuttgart ein Manager gefeuert, der wohl in jeder Hinsicht für das Gegenteil von Bornemanns Arbeit in Nürnberg steht. Wo der eine überlegte, bevor er redete, quasselte der andere einfach ohne Punkt, Sinn und Komma drauflos. Überhaupt erinnert Michael Reschke in fast jeder Hinsicht an Reiner Calmund. Er sieht nur ganz anders aus. Dass Reschke aus dem Rheinland kommt, mag dabei als mildernder Umstand durchgehen. Doch während Calmund in seinen besten Leverkusener Zeiten ein gutes Gespür für Transfers hatte, trat Reschke in beachtlicher Konsequenz den Beweis an, dass man mit viel Geld auch viel Unsinn machen kann. Zum Beispiel, indem man den Vertrag mit einem dauerverletzten Spieler, zu hervorragenden Konditionen bis 2022 verlängert und dessen Gehalt verdreifacht. Warum tut ein Funktionär so etwas? Hier sind, was dessen Eigenmotivation angeht, der Fantasie keine Grenzen gesetzt.
Eine andere Antwort aber ist: Weil er es kann. Denn beim VfB Stuttgart gibt es niemanden, der über den Sinn von sportlichen Maßnahmen wie der Kaderplanung befinden kann. Der Präsident hat von Fußball keine Ahnung und ist nach Ansicht der Fans sowieso nicht mehr tragbar. Sollte es das Kalkül von Wolfgang Dietrich gewesen sein, Reschke zu entlassen, um sich selbst aus der Schusslinie zu bekommen, so ist das gescheitert. Die VfB-Anhänger haben am Sonnabend beim Fanmarsch zum Stadion sehr deutlich gemacht, dass ein Fisch auch dann noch vom Kopf her stinkt, wenn man ihm den ebenfalls übelriechenden Schwanz abschneidet.
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