Armer Sozialismus
sieben tage, sieben nächte
Der real existierende Sozialismus existiert real zwar schon eine Weile nicht mehr. Der Anti-Sozialismus aber lebt und sucht seinen Gegner, schon aus Selbsterhaltungstrieb: Ohne Sozialismus verliert er seine Existenzberechtigung. Diese Suche ist in jüngster Zeit recht erfolgreich. Zum Beispiel in Venezuela. »Der Sozialismus stirbt«, frohlockte angesichts der venezolanischen Krise US-Präsident Donald Trump, der sich hinter die Opposition in Caracas stellt, um Sterbehilfe zu leisten. Unterstützt wird Trump dabei von seiner Frau Melania, die laut eigener Aussage »die Unterdrückung durch Sozialismus und Kommunismus« am eigenen Leib erlebt hat.
Während der Sozialismus nach Trumpscher Logik in Venezuela wegen Erfolglosigkeit sterben muss, wird er in China wegen seines drohenden Erfolgs bekämpft. Dort nämlich ist laut dem Trierer Wirtschaftsprofessor Sebastian Heilmann ein »digitalisierter Leninismus« am Werk, der dem westlichen Kapital Weltmarktanteile abknöpft und dem Trump den Kampf angesagt hat.
Aber auch in den USA droht Gefahr in Form höherer Steuern für Millionäre und einer allgemeinen Krankenversicherung. In seiner Rede zur Lage der Nation zeigte sich Trump daher »alarmiert über neue Forderungen, den Sozialismus in unserem Land einzuführen«.
Und schließlich geht das Gespenst auch in Deutschland wieder um, dem Land des »staatlichen Rundfunksozialismus« (Roland Tichy). Die »Hauptstadt des Sozialismus« allerdings ist Berlin, zumindest wenn man der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« glauben will, die vor einer Verstaatlichung von Wohneigentum warnt. Der »FAZ« zur Seite steht der Berliner Kaufleuteverband (VBKI), dem vor »Welcome back Sozialismus« graut, wie auch der Berliner FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja, der dem Senat »die Wiedereinführung sozialistisch-kommunistischer Traditionen« vorwirft und nach dessen Dafürhalten Mieter nichts so nötig brauchen wie die Freiheit des Grundeigentums.
Da »Sozialismus« kein eingetragenes Markenzeichen ist und keine feste Definition hat, darf sich jeder darunter vorstellen, was er will. Vorbei die Zeit, in der er noch eine andere Form der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums bedeutete. Heute benennt er nur noch eine irgendwie als unangemessen bewertete Verteilung staatlicher Gelder: Rekommunalisierung von Wohnungen, soziale Maßnahmen, beitragsfinanzierter Rundfunk.
Armer Sozialismus. In der ökonomischen Realität ist er heute nur noch eine Art Reparaturbetrieb für die Schäden, die der Kapitalismus anrichtet. Und in der Debatte ist er ein Monster, vor dem seine Gegner warnen und das ihnen die Gelegenheit bietet, ihre Macht- und Verteilungskämpfe als die Verteidigung gesellschaftlicher Werte und Konzepte zu kaschieren. Stephan Kaufmann
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.