- Kommentare
- Ende Gelände
Appelle reichen nicht zum Überleben
Nur mit zivilem Ungehorsam kann die Klimakrise noch gestoppt werden, meint Nike Mahlhaus
Die Klimakrise ist grausame Realität. Ungebremst rasen wir auf eine vier bis sechs Grad heißere Welt zu, mit fatalen Folgen für uns alle. Der sofortige Ausstieg aus fossilen Brennstoffen ist deshalb eine Frage des Überlebens geworden. Wer diese Notwendigkeit erkennt und entsprechend handelt, gilt als »Kriminelle*r« oder »Öko-Terrorist*in«. 23 Aktivist*innen von Ende Gelände saßen im Februar in Untersuchungshaft, weil sie Kohlebagger in der Lausitz besetzt hatten. Drei von ihnen wird aktuell der Prozess gemacht. Sieben Aktivist*innen wurden im Rheinland tagelang in Gewahrsam gehalten – übrigens der erste Anwendungsfall der »Lex Hambi« im neuen Polizeigesetz.
Hier steht die Welt Kopf, denn das wirkliche Verbrechen liegt nicht im Einsatz für Klimagerechtigkeit, sondern in der Ausbeutung unseres Planeten durch die fossile Industrie und das kapitalistische System. Ein gutes Beispiel für diese Schieflage: RWE fordert zwei Millionen Euro Schadensersatz von Aktivist*innen, die vor zwei Jahren das Kraftwerk Weisweiler im Rheinland mit einer gewaltfreien Blockade lahmgelegt haben. Durch die Aktion wurde damals in nur wenigen Stunden so viel CO2 eingespart, wie 13.500 Einpersonenhaushalte in einem Jahr emittieren würden. Nur zur Erinnerung: Deutschland muss in den nächsten Jahren Strafen in zweistelliger Milliardenhöhe bezahlen, weil wir alle Klimaziele krachend verfehlen. Vielleicht sollten die Aktivist*innen also eher Dank bekommen für ihren Einsatz?
Bei der Klimakrise versagt unsere Demokratie komplett. Das hat vor allem drei Gründe:
Da ist erstens die enge Verflechtung von Politik und Kohleindustrie. Wo Kommunen Anteilseigner*innen von Kohlekonzernen sind und Politiker*innen Nebeneinkünfte von RWE beziehen, sind Pro-Kohle-Entscheidungen kaum verwunderlich. Zweitens begünstigt unser politisches System extreme Kurzsichtigkeit. Der Horizont von Politiker*innen reicht oft nur bis zur nächsten Wahl. Und diejenigen, die in Zukunft vom Klimawandel am meisten betroffen sein werden, sitzen nicht mit am Tisch. Die jüngste Person in der Kohlekommission ist übrigens 37. Ein dritter Grund ist, dass es bei nationaler Politik immer um einen nationalen Interessensausgleich geht und nicht um globale Gerechtigkeit. Das Leben von Menschen in Fidschi oder Bangladesch, die in Deutschland nicht wählen können, spielt keine Rolle. Das spiegelt sich im Bericht der Kohlekommission.
Fakt ist: Obwohl sich alle Staaten in Paris auf die 1,5-Grad-Grenze geeinigt haben, gibt es keine Regierungen und keine Gesetze, die der Klimakrise wirklich Einhalt gebieten. Seit Jahrzehnten sträuben sich Entscheidungsträger*innen gegen den nötigen Wandel. Einfache Demonstrationen reichen hier schon lange nicht mehr aus. Das einzige, was jetzt noch hilft, ist ziviler Ungehorsam. Wir überschreiten bewusst Gesetze, um die Klimakrise endlich dahin zu bringen, wo sie hingehört: ganz oben auf die politische Agenda.
Dass RWE, NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) und der Rest der Kohlelobby immer stärker versuchen, unseren Protest zu kriminalisieren, sehen wir als guten Gradmesser für den Erfolg unserer Bewegung: Die Verantwortlichen kommen langsam ins Schwitzen. Die Aktionen häufen sich, der Druck steigt. Immer mehr Menschen stehen auf für einen radikalen Wandel in der Klimapolitik: 50.000 Menschen im Hambacher Wald im Oktober 2018, kurz darauf die bisher größte Ende-Gelände-Massenaktion, immer mehr streikende Schüler*innen bei den »Fridays for future«-Demonstrationen, zuletzt Baggerbesetzungen in der Lausitz, im Leipziger Land und im Rheinland, die Blockade eines Kohlekraftwerks in Karlsruhe, des Kohlehafens in Hamburg… Die richtige Antwort hierauf ist nicht, Menschen einzusperren, sondern endlich die Kohlekraftwerke abzuschalten.
Prozess gegen Aktivisten nach Baggerbesetzung beginnt
Vorgehen der Polizei gegen Klimaschützer ist am Donnerstag Thema im Rechtsausschuss des Brandenburger Landtags
Wir machen deutlich: Die Kohlekommission hat beim Klima gar nichts befriedet. Noch 20 Jahre Kohleverstromung sind ein Todesurteil für viele Menschen im globalen Süden und bedrohen die Zukunft von uns allen. Wir lassen uns nicht einschüchtern von illegitimen Verhaftungen und Schauprozessen. Mit der nächsten Ende-Gelände Aktion im Juni werden wir mit tausenden Menschen die Kohleinfrastruktur im Rheinland lahmlegen und zeigen, wie der Kohleausstieg richtig geht: Mit geeinter Kraft von vielen Menschen und mit zivilem Ungehorsam.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.