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Verkaufsschlager wird zum Risiko
In Kalifornien begann der Musterprozess im Glyphosat-Massenverfahren gegen Monsanto
Gerichtsgeschichte werden die Jury-Mitglieder im US-Bundesstaat Kalifornien auf jeden Fall schreiben. Die neun Männer und Frauen müssen seit Montagabend darüber entscheiden, ob das Totalherbizid Glyphosat krebserregend ist oder nicht. Der weltweit am häufigsten verwendete Wirkstoff gegen störende Ackerpflanzen wurde vom US-Saatguthersteller Monsanto entwickelt. Diesen hatte der deutsche Chemieriese Bayer AG im vergangenen Jahr für rund 63 Milliarden US-Dollar übernommen.
In San Francisco findet nun der zweite Prozess gegen Monsanto statt - der erste vor einem US-Bundesbezirksgericht. Er ist Teil eines »Multi-District«-Verfahrens, in dem Hunderte Fälle gebündelt sind. Für die kommenden Wochen sind an jedem Wochentag außer Donnerstag mehrstündige Verhandlungen geplant.
Der Kläger Edwin Hardeman nutzte Monsantos Verkaufsschlager seit den 1980er Jahren in seinem Garten zur Unkrautvernichtung. 2015 kam die Diagnose Lymphdrüsenkrebs. Hardemann macht das Mittel Roundup verantwortlich. Monsanto habe das »für die menschliche Gesundheit gefährliche« Produkt ohne hinreichende Warnungen verkauft, heißt es in der Anklageschrift.
Der Ausgang des Musterverfahrens gilt als richtungsweisend; als sogenannter Bellwether Case werden sich andere Fälle an dem Urteil orientieren. Rund 9400 Klagen gegen Monsanto gibt es aktuell. Zudem stehen weitere Prozesse an: Im März startet ebenfalls in Kalifornien ein weiteres Verfahren gegen Monsanto. Ein älteres, an Lymphdrüsenkrebs erkranktes Paar klagt. Später kommt ein Prozess in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri hinzu, wo ein Farmer klagt.
Im Vorfeld hatten sich die Anwälte beider Seiten einen erbitterten Streit über die zuzulassenden Beweismittel geliefert. So gilt es als Erfolg für die Klägerseite, dass Bundesrichter Vince Chhabria interne Dokumente von Monsanto als Beweise zugelassen hat. Darunter sind E-Mails, in denen selbst Monsanto-Forscher die Unbedenklichkeit des Mittels bezweifelten. Hinzu kommt eine aktuell veröffentlichte Studie von der Universität Washington, in der ein »überzeugender Zusammenhang« festgestellt wurde zwischen der Nutzung glyphosathaltiger Herbizide und dem Risiko, an Lymphdrüsenkrebs zu erkranken. Auch die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation hatte den Unkrautvernichter 2015 als »wahrscheinlich krebserregend« für Menschen eingestuft.
Monsantos Anwälte konnten erreichen, dass der Prozess zweigeteilt wird. In der ersten Hälfte entscheidet das Gericht, ob Glyphosat krebserregend ist. Erst wenn Richter und Jury diese Frage mit Ja beantworten, beginnt die zweite Phase. Dann soll geklärt werden, ob Monsanto wider besseres Wissen nicht vor der Krebsgefahr gewarnt hat.
Bayer und Monsanto weisen die Vorwürfe energisch zurück und berufen sich auf zahlreiche Studien, die festgestellt haben, dass Glyphosat nicht krebserregend ist. Diese sind auch Grundlage der Genehmigungen von Umweltbehörden. Allerdings musste Bayer zuletzt zugeben, dass nur ein kleiner Teil der angeführten 800 Studien tatsächlich das Krebsrisiko untersucht hat.
Für Bayer steht viel auf dem Spiel. Im August 2018 hatte eine Geschworenenjury entschieden, dass Monsanto dem Krebspatienten Dewayne Johnson insgesamt 289 Millionen Dollar (255 Millionen Euro) zahlen muss. Zwar wurde die Summe von der zuständigen Richterin auf 79 Millionen Dollar gesenkt. Der Schuldspruch aber blieb.
Das erste Urteil gegen Monsanto/Bayer hatte massive Auswirkungen: Mehr als 30 Milliarden Euro Börsenwert soll der Konzern seit August eingebüßt haben. Allein die Ankündigung des Richters, umstrittene Beweismittel zuzulassen, hatte Ende Januar kurzzeitig zu fallenden Aktienkursen geführt. Anleger fürchten weitere Rechtskosten und hohe Schadenersatzzahlungen.
»Wir halten dagegen, wir gehen durch alle Instanzen«, erklärte Liam Condon, Chef von Bayers Agrochemiesparte, im »Handelsblatt«. Die Chefetage scheint darauf zu hoffen, dass ein mögliches Jury-Urteil später aufgehoben wird.
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