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- Brexit und Nordirlandkonflikt
Rückfall in die Vergangenheit droht
Dieter Reinisch glaubt trotzdem nicht, dass ein neuer Krieg in Nordirland kommt - Brexit hin oder her
Nordirland ist ein Zankapfel der Brexit-Verhandlungen. Der Versuch von Theresa May, eine Parlamentsmehrheit für den »Backstop« zu finden, scheiterte. Dadurch sollte Nordirland für einen begrenzten Zeitraum mit einem Sonderstatus ausgestattet werden und so eine bewachte, »harte« Grenze durch die Insel verhindert werden. Denn nach dem Brexit wird sich eine Außengrenze der Europäischen Union über die irische Insel ziehen.
Die Lösung eines Sonderstatus für Nordirland wird jedoch von Hardlinern unter den konservativen Tories und der nordirischen DUP verhindert. Die »Democratic Unionist Party« ist eine kleine Regionalpartei. Mit ihren zehn Abgeordneten stützt sie seit den vergangenen Parlamentswahlen die knappe Mehrheit von Theresa May im britischen Unterhaus. Sie ist eine ultrakonservative Partei, deren Mitglieder strenggläubige Presbyterianer sind. Die DUP ist loyal zum britischen Könighaus und sieht die Gefahr, dass durch einen Sonderstatus die Provinz sich vom britischen Königreich lösen könnte. Doch ohne Sonderstatus wird es zu einer harten Grenze mit Personen- und Warenkontrollen kommen.
Eine befestigte Grenze schürt die Angst für einem neuerlichen Aufflammen des Nordirlandkonflikts. Der Konflikt begann 1968 und forderte in den darauffolgenden drei Jahrzehnten fast 4000 Menschenleben. Seit dem Friedensprozess und der Unterzeichnung des Karfreitagsabkommens von 1998 besteht weiterhin ein konstantes Gewaltlevel. In den vergangenen zwei Jahrzehnten waren die noch aktiven loyalistischen und republikanischen Paramilitärs für über 70 Todesopfer verantwortlich.
Wie real die Gefahr von Anschlägen ist, zeigte die Explosion einer Autobombe in der Stadt Derry. Am 19. Januar detoniere eine Sprengladung der »Neuen IRA« vor dem Gerichtsgebäude. In einer Stellungnahme erklärte die Gruppe, sie gedenke damit des 100. Jahrestags des irischen Unabhängigkeitskriegs.
Die Gefahr weiterer Anschläge wurde kürzlich durch ein Interview des ehemaligen »Real IRA«-Mitglieds John Connolly befeuert. Der ehemalige Sprecher der republikanischen Gefangenen im Hochsicherheitsgefängnis Maghaberry erklärte, dass jegliche Infrastruktur entlang der Grenze eine Anschlagsziel sei.
Ähnliches beteuerte auch der Vorsitzende der Partei »Saoradh«, Brian Kenna. Er erklärte, eine bewachte Grenze wird »die Realität der Teilung Irlands in die Köpfe der Menschen zurückbringen« und Republikaner werden dies versuchen auszunutzen. »Saoradh« gilt als der politische Arm der »Neuen IRA«.
Die Geheimdienste bereiten sich intensiv auf eine derartige Situation vor. Im Januar wurde bekannt, dass der britische Dienst MI5 in Nordirland 700 Agenten im Einsatz hat. Vor wenigen Tagen berichtete der Irish »Daily Mirror«, dass die irische Polizei »An Garda Síochána« Listen von IRA-Sympathisanten für den Falle eines harten Brexits erstelle. Dies ruft die Internierungswelle von 1971 in Erinnerung, als über 3000 Personen in Lager gesperrt wurden.
Zu einem neuen Krieg wird es in Nordirland nicht kommen. Doch sogenannte dissidenten Republikaner haben das Potenzial und den Willen, ihren bewaffneten Kampf für die Vereinigung Irlands und die Etablierung einer sozialistischen Republik weiterzuführen. Als dissidente Republikaner werden jene Gruppen bezeichnet, die sich ab 1986 von Sinn Féin und der IRA abgespalten haben, da sie den Friedensprozess nicht unterstützen. Zu ihnen zählen paramilitärische Organisationen wie »Continuity IRA« und »Real IRA«.
Die größte und aktivste dieser Gruppen ist die »Real IRA«. Sie gründete sich 2012. In der Stellungnahme zur Autobombe erklärte sie, dass das Attentat nicht mit dem Brexit in Zusammenhang stehe, denn die Gruppe kämpfe für eine Vereinigung Irlands mit oder ohne harte Grenze. Dennoch würden Grenzposten ein weiteres Anschlagsziel darstellen - genauso wie Polizisten und britische Soldaten in Nordirland.
Die »Neue IRA« hat ein paar Dutzend aktive Mitglieder, dazu mehrere hunderte aktive Unterstützer und ein paar tausend Aktivisten in politischen Gruppen. Ihre Ressourcen sind beschränkt und sie ist vom Geheimdienst infiltriert. Sie ist nicht in der Lage, eine breite militärische Kampagne zu führen. Es wird aber weiterhin zu sporadischen Anschlägen kommen - wie bereits die vergangenen 20 Jahre. Denn irische Republikaner kämpfen für eine Vereinigung Irlands als sozialistische Republik - mit oder ohne harten Brexit.
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