Prinzip des »fort ist fort«

Der Heckler&Koch-Prozess wegen illegalen Waffenhandels birgt trotz der Freisprüche das Potenzial, die Rechtslage zu ändern.

  • Timo Dorsch
  • Lesedauer: 5 Min.

Fast neun Jahre dauerte es, bis nach einer Anzeige ein Urteil gefällt wurde. Seinerzeit hatte ein Whistleblower gegenüber dem Friedensaktivisten Jürgen Grässlin über seinen damaligen Arbeitgeber Heckler&Koch und Dokumente übergeben, die illegale Waffenverkäufe nach Mexiko belegten: Von 2006 bis 2009 hatte die Firma fast 5000 G 36-Sturmgewehre in vier mexikanische Bundesstaaten geliefert, für die hiesige Kontrollbehörden keine Ausfuhrgenehmigung erteilt hatten. Ingesamt wurden über 10 000 solcher Waffen an das dortige Verteidigungsministerium geliefert - die Hälfte ohne Gesetzesverstöße.

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Grässlin und sein Anwalt Holger Rothbauer zeigten daraufhin 16 Personen aus der Rüstungsschmiede und deutschen Behörden an. Sechs ehemalige Firmenmitarbeiter wurden angeklagt. Von ihnen tauchten fünf zum Prozess auf. Der sechste, der H&K-Vertreter in Mexiko, Markus B., der sich dort einbürgern ließ, erschien nicht, weswegen die Stuttgarter Staatsanwaltschaft einen internationalen Haftbefehl gegen ihn ausstellte.

Am 21. Februar fiel nun das Urteil. Von H&K sollen nun 3,7 Millionen Euro eingezogen werden - die Summe, die das Unternehmen an den illegalen Waffengeschäften verdient hatte. In diesem Punkt war das Gericht unmissverständlich. Verurteilt wurden auch ein früherer Vertriebsleiter und eine Ex-Sachbearbeiterin - wegen »bandenmäßiger Ausfuhr aufgrund erschlichener Genehmigung« und Beihilfe wurden zu Bewährungsstrafen. Zwei ehemalige Geschäftsführer wurden hingegen vom gleichen Vorwurf aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Wer den Verurteilten Anweisung gab, wer die Entscheidungen traf, bleibt offen. Von den »Machenschaften« ihrer Untergebenen hätten die ehemaligen Geschäftsführer nichts gewusst.

Auch wenn der Prozess nun vorbei ist, geben Urteil und Begründung Stoff für künftige juristische und politische Auseinandersetzungen. Für künftige Verfahren wird die Frage der »Endverbleibserklärung« entscheidend. Dabei handelt es sich um Zusicherungen des Empfängerlandes, wo und wozu die eingeführten Waffen verwendet werden. Der Vorsitzende Richter hielt fest, dass diese Erklärungen nicht Teil des Genehmigungsverfahrens für Waffenexporte sind. Die Bundesregierung ist anderer Auffassung.

Unklarheit bei Verbleibsnachweis

Noch im September 2018 schrieb diese in einer Antwort auf eine Anfrage der Linkspartei zum illegalen Waffenexport: »Endverbleibserklärungen sind (...) Grundvoraussetzung für die Erteilung der jeweiligen Ausfuhrgenehmigungen.« Mit dem in diesem Punkt gegenläufigen Urteil ist die Rechtslage unklarer geworden und müsste von der Politik neu behandelt werden.

Werden die Erklärungen nicht als Teil der Genehmigungen betrachtet, wird - wie in Stuttgart - nach dem Außenwirtschaftsgesetz geurteilt, nicht nach dem härteren Kriegswaffenkontrollgesetz. So wurde im Prozess kein Genehmigungsverstoß beurteilt, sondern das Erschleichen von Genehmigungen geahndet.

Fest steht, dass Endverbleibserklärungen den Behörden vorgelegt werden müssen. Das Problem: Um ihrer Rolle als Kontrollinstanzen gerecht zu werden, bräuchten Bundesausfuhramt und Bundeswirtschaftsministerium Einsicht in die Verträge. Sie müssten auch im Empfängerland Untersuchungen anstellen können. Doch diese Einblicke und Befugnisse haben die Kontrollbehörden nicht. Ein Zeuge des Wirtschaftsministeriums sagte am siebten Prozesstag: »Fort ist fort. Wenn es erst mal über die deutsche Grenze ist, sind unsere Möglichkeiten extrem eingeschränkt, nahezu nicht vorhanden.«

Der Anwalt Holger Rothbauer, der sich eingehend mit dem Prozess befasst und selbst Anzeigen gegen Beamte der zuständigen Behörden erstattet hatte, hat eine klare Meinung zu diesen Endverbleibserklärungen, die es in dieser Form seit Jahrzehnten gibt. »Die Erfindung der Endverbleibserklärungen auf Bundesebene dient nur dazu, den Bluff des Kontrollregimes aufrechtzuerhalten«, sagte er dem »nd«. Das Stuttgarter Gericht unterläge einer »falschen Rechtsauffassung«. Rothbauer spricht dennoch von einem »historischen Prozess«, und zwar »politisch wie juristisch.« Zum einen aufgrund der nun zu klärenden Rechtslage bei den Endverbleibserklärungen. Zum anderen, weil die Strafzahlung gegen H&K den Bestrebungen von Rüstungsgegnern zu danken sei, die von umfassenden journalistischen Recherchen verschiedener Medien begleitet wurden.

Für Jan van Aken beweist das Urteil, dass die »Kontrollinstrumente Deutschlands nicht mehr tragbar sind.« Der Rüstungsexperte und frühere außenpolitische Sprecher der Linkspartei hat das Verfahren als Prozessbeobachter begleitet. »Das alte System ist kaputt. Wir brauchen eine neue Regelung«, sagt er nach dem Urteil verweist auf die Idee eines neuen Rüstungsexportkontrollgesetzes. Darin müsste festgelegt werden, dass besagte Endverbleibserklärungen auch wirklich Bestandteil der Genehmigungen sind.

Auffallend beim Stuttgarter Prozess war das Ausblenden der Perspektive mexikanischer Opfer. Vor dem Urteil sagte Leonel Gutiérrez Solano gegenüber dem »nd«, er wünsche sich, dass sich die deutsche Regierung »der Konsequenzen bewusst wird, die ihre Waffen in Mexiko verursacht haben.« Leonels Bruder, Aldo Gutiérrez, liegt seit viereinhalb Jahren im Koma, nachdem mexikanische Polizisten unter anderem mit G 36-Gewehren auf ihn und weitere Studenten geschossen hatten. Sie hätten diese Waffen aber gar nicht haben dürfen, weil der Bundesstaat Guerrero von der Genehmigungsvergabe ausgeschlossen war.

Naive Unterscheidungen

Laut einer Erklärung der Bundesregierung vom September 2018 werden Genehmigungen nicht erteilt, »wenn hinreichender Verdacht besteht«, dass gelieferte Waffen »zur internen Repression oder zu sonstigen fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden«. Bei Mexiko sah man diesen Verdacht nur in vier einzelnen Bundesstaaten. Dabei erlebt das Land 2006 eine Epoche grausamer Gewalt. Da scheint es naiv, bei Genehmigungen zwischen Bundesstaaten zu unterscheiden.

Laut Gericht war nur der Export und nicht die Nutzung der Waffen Verfahrensgegenstand. Daher fanden die Taten, die mit den illegal gelieferten Waffen verübt wurden, keine Beachtung im Strafprozess. Nicht einmal, als Leonel Gutiérrez Solano selbst erschien. Um künftig auch den Gebrauch solcher Waffen zum Verfahrensgegenstand machen zu können, bedürfte es einer weiteren Gesetzesänderung durch die deutsche Politik.

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