Heute bin ich mal weg

Am 8. März wollen Frauen streiken. Das erinnert an den Streik von 1994. Von Simone Schmollack

  • Simone Schmollack
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Autofahrer sind genervt. Sie müssen links und rechts abbiegen, dabei wollen sie geradeaus fahren, direkt die dreispurige Straße runterdüsen zum Berliner Stadtzentrum. Doch plötzlich stehen da einhundert Frauen, mitten auf der Fahrbahn, und bringen die Autos zum Stoppen. Sie halten Transparente mit Losungen hoch: »My body. My choice« und »Für die Freiheit, für das Leben«. Ein Autofahrer ist so sauer, dass er hupend auf die Gegenfahrbahn ausweicht.

Was ist das? Eine Anti-Diesel-Demo? Ein deutscher Gelbwesten-Aufstand? Nein, es ist die Probe aufs Exempel, an einem gewöhnlichen Sonntagmittag, wenige Wochen vor dem Internationalen Frauentag am 8. März. Der soll in diesem Jahr ein sogenannter Frauenstreiktag sein: Frauen gehen auf die Straße und nicht zur Arbeit. Sie schalten den Computer aus, legen die Friseurschere weg, schieben die Kasse im Supermarkt zu und sagen: Heute bin ich mal weg.

Seit mehreren Monaten treffen sich Frauen, um einen bundesweiten Ausstand von Frauen und zahlreiche lokale Aktionen vorzubereiten. Kann so ein Streik gelingen? Und: Welche gesellschaftliche Wirkung kann es haben, wenn Frauen an einem Tag gemeinsam aus dem Alltag aussteigen und vielerorts dasselbe tun? Sich mit einem Stuhl auf die Straße setzen, mit Geschirrtüchern aus Küchenfenstern wedeln, einfach mal laut schreien. So jedenfalls stellen sich das die Streikorganisator*innen vor.

Das mit der Straßenblockade funktioniert schon mal, das wissen die einhundert Frauen jetzt. »Ständig werden wir diskriminiert, unterdrückt und ausgebeutet. Wir werden tagtäglich mit verletzenden Witzen, Kommentaren, Übergriffen und körperlicher Gewalt kleingemacht«, heißt es im Aufruf des Streikbündnisses. »Unsere Arbeit wird geringgeschätzt, und noch immer verdienen Frauen in Deutschland im Schnitt 22 Prozent weniger als Männer … Wir streiken!«

Die Idee des Frauenstreiks ist nicht neu. Sie geht auf die Antike zurück; in der altgriechischen Komödie »Lysistrate« verweigern Frauen in Athen und Sparta Sex mit ihren Männern, um ein Friedensabkommen zwischen beiden Städten zu erzwingen. Der Aufstand versprüht seinen Charme bis in die Neuzeit: In Island legten Frauen 1975 durch einen »Frauen-Ruhetag« das Land lahm, 90 Prozent der Isländerinnen machten mit. 1991 gingen Schweizerinnen auf die Straße, die Gewerkschaften hatten dazu aufgerufen. Es wurde der größte Ausstand in der Schweiz seit dem Generalstreik 1918. Auch in Deutschland gab es bereits einen Frauenstreik, 1994 gingen mehr als eine Million Frauen auf die Straße. Fünf Jahre nach dem Mauerfall schien die Zeit für eine groß angelegte gemeinsame Aktion von Ost- und Westfeminist*innen gekommen. Ostfrauen waren irritiert darüber, wie rasch Frauenrechte weggewischt werden können: Abtreibung wurde erschwert, Kitas wurden geschlossen, Frauenarbeitsplätze massiv abgebaut. Westfrauen wollten vom feministischen Schwung, der den mehrheitlich erwerbstätigen Ostfrauen nachgesagt wurde, profitieren. Regelmäßig trafen sich Ost- und West-Aktivist*innen in Kassel für einen bundesweiten Streik vom Leuchtturm auf der Insel Rügen in Mecklenburg-Vorpommern bis zur Zugspitze in Bayern.

Die damaligen Forderungen und Botschaften klangen wie jene in diesem Jahr: gegen Sexismus, Gewalt und Ausgrenzung, für gleiche Bezahlung, körperliche Selbstbestimmung und Machtteilhabe. Bei den Treffen stellten die Frauen allerdings fest, dass sie zwar die gleiche Sprache sprechen, sich aber ansonsten kaum verstehen. Die Gräben waren tief: Ostfrauen waren - zugespitzt formuliert - mehrheitlich heterosexuell und Mütter, Westfrauen vielfach lesbisch und kinderlos. Die Treffen waren kämpferisch, aber selten gewinnbringend. Am Ende einigten sich die Frauen auf den »kleinsten gemeinsamen Nenner«: Kochtopfdeckelklappern in Fußgängerzonen, den Partnern die Kinder auf den Schreibtisch setzen, nicht einkaufen, so was.

Die Frauenministerin hieß damals Angela Merkel, von ihr ist ein klares Bekenntnis überliefert: »Der Frauenstreiktag ist ein spektakuläres Ereignis … Ich werde jedenfalls nicht streiken, sondern die geplante Kabinettsitzung besuchen.« Der Streik floppte.

Heute indes scheint Frauenstreik ein probates und mancherorts erfolgreiches Mittel zu sein, gegen Machtverhältnisse aufzubegehren. So sorgten vor einem Jahr über fünf Millionen Spanierinnen dafür, dass im Land keine U-Bahnen und Busse fuhren, Radiosendungen und die Müllabfuhr ausfielen. Selbst Königin Letizia streikte gegen den Alltagssexismus im Land. In Polen erreichten Hunderttausende Frauen (und Männer) mit »Schwarzen Protesten«, dass die geplante Verschärfung des Abtreibungsrechts zurückgenommen wurde.

Wie wird es hierzulande am 8. März sein? Sind die Streiks in Island, der Schweiz, in Polen und Spanien nach Deutschland übertragbar? Keine Ahnung, sagen selbst die Organisator*innen: »Wir werden sehen.«

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