Das komplette System lahmlegen

Frauenstreik am 8. März will auch auf unbezahlte Sorge-, Erziehungs- und Haushaltsarbeit aufmerksam machen

  • Alex Wischnewski und Kerstin Wolter
  • Lesedauer: 4 Min.

Der 8. März steht vor der Tür. Gingen in den vergangenen Jahren schon stetig mehr Frauen gegen Ausbeutung und für mehr soziale und freiheitliche Rechte auf die Straßen, so wird dieses Jahr noch eine Schippe drauf gelegt. Das erste Mal seit 25 Jahren treten Frauen und Queers in Deutschland in den Streik.

In Berlin wurde der Frauenkampftag jüngst unter Rot-Rot-Grün zum gesetzlichen Feiertag erklärt. Hinsichtlich der Planungen für einen Frauenstreik hat das bei vielen für Verwirrung gesorgt. Warum streiken, wenn eh niemand arbeitet?

Kerstin Wolter und Alex Wischnewski
Kerstin Wolter arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der LINKE-Ko-Vorsitzenden Katja Kipping und hat das Bündnis für den »Frauen*kampftag« am 8. März mitgegründet. Alex Wischnewski engagiert sich im Netzwerk »Care Revolution«.

Ein feministischer Streik wie er in den über 40 regionalen Netzwerken sowie ungezählten Haushalten, Organisationen und Institutionen vorbereitet wird, beschränkt sich jedoch ganz explizit nicht nur auf die Lohnarbeit, sondern schließt ebenso die unbezahlte Sorge-, Erziehungs- und Haushaltsarbeit mit ein. Mal davon abgesehen, dass auch an Feiertagen in Krankenhäusern, Altenheimen und Supermärkten gearbeitet wird.

Immer wieder hören wir die Kritik, dass das Bestreiken nicht entlohnter Arbeit ein rein symbolischer Protest sei. Aber ist die Erziehung von Kindern, die Pflege von Angehörigen oder die Erledigung der notwendigen Tätigkeiten im Haushalt auch nur symbolische Arbeit? Seit Jahrzehnten fordert die Frauenbewegung, diese Tätigkeiten endlich als Arbeit anzuerkennen – und wer arbeitet, kann auch streiken.

Warum der Streik auf die mehrheitlich von Frauen geleistete Reproduktions- oder Care-Arbeit ausgedehnt werden muss, hat Gründe: Die unbezahlte Reproduktionsarbeit ist der unsichtbare Teil des Eisbergs kapitalistischer Produktionsweise. Ohne sie würde kein Mensch überhaupt am Arbeitsmarkt teilnehmen können – geschweige denn überleben. Kurzum, die Sorgearbeit stützt das komplette System. Das Bestreiken dieser Tätigkeiten kann deshalb – theoretisch – auch das System komplett lahmlegen.

In den Vorbereitungen für einen feministischen Streik sollen Frauen und Queers sich ihrer ökonomischen Machtposition bewusst werden, um schließlich auch die politische Macht zu erobern. Dabei geht es nicht darum, dass Frauen per se die besseren Menschen wären. Sie sind es nicht – wie man an den Frauen in der AfD oder Kriegstreiberinnen wie Hilary Clinton sehen kann. Der Frauenstreik ist eine im Kern antikapitalistische Praxis. Und ein großer Teil der lohnabhängigen Frauen sitzt heute an den entscheidenden Schaltstellen.

Sicherlich tun sich dabei zunächst Fragen auf: Bringt ein eintägiger, individueller Streik von Frauen – selbst wenn es viele sind – überhaupt etwas? Führt er am Ende nicht nur dazu, dass sie die Aufgaben am darauffolgenden Tag erledigt werden oder im besten Fall dazu, dass ein männlicher Partner Tätigkeiten übernimmt? Ganz abgesehen von jenen Fällen, in denen die Sorge für andere nicht einfach für einen Tag niedergelegt oder nur an andere delegiert werden könnte. Bleibt der Protest also nicht an der Frage der gerechten Verteilung unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern hängen, während das kapitalistische System unangetastet bleibt?

Die Aushandlung in (heterosexuellen) Partnerschaften und Familiengefügen ist nicht zu unterschätzen, auch wenn sie erstmal individualistisch daherkommt. Dabei würde eine gerechte Aufteilung dazu führen, dass Frauen mehr Zeit für ihre Interessen bleibt oder dafür, sich politisch einzubringen. Nicht zuletzt wird mit der Frage der gerechten Verteilung auch die Lohnarbeitszeitfrage aufgerufen, denn Vollzeitarbeit und Erziehung von Kindern oder Pflege von Angehörigen sind kaum zu vereinbaren. Es ist nämlich kein Wunder, dass zwei Drittel der Frauen mit Kindern in Teilzeit lohnarbeiten, aber nur sechs Prozent der Väter. Schlechtere Entlohnung und lange Teilzeitphasen führen auch im Alter zu einer größeren Armut von Frauen. Eine Aushandlung über die Verteilung der Tätigkeiten kann mit einer Verweigerung am 8. März beginnen, darf dabei aber hier nicht stehen bleiben.

Ein feministischer Streik kann darüber hinaus den Zusammenhang zwischen entlohnter und nicht entlohnter Arbeit auf besondere Weise deutlich machen. Im besten Fall dadurch, dass Männer Sorgearbeit übernehmen und dafür selbst in den Streik der Lohnarbeit treten. Ein Gedankenspiel: Wie viele Männer könnten nicht Vollzeit lohnarbeiten gehen, wenn ihre Mütter, (Ehe-)Frauen oder Töchter nicht all die sonstigen nicht entlohnten Arbeiten übernehmen würden?

Ein solches Szenario ist aktuell noch nicht zu erwarten. Doch alles ist möglich. Der Frauen*streik ist eben nicht nur ein Tag, sondern ein Prozess, der an diesem 8. März weder beginnt noch aufhört. Schon jetzt hat die Frauen*streik-Bewegung fruchtbare Debatten und Organisierungsprozesse angestoßen und vorangebracht, die bezahlte und unbezahlte Arbeiten verbinden. Unabhängig davon, was in diesem Jahr am 8. März passiert, ist allein das schon ein riesiger Erfolg.

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