Fälle von rechter Gewalt müssen neu untersucht werden

Experten fordern nach dem Vorbild von Berlin auch in anderen Bundesländern die Polizeistatistiken neu auszuwerten

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Bochum. Experten haben auch für Nordrhein-Westfalen (NRW) eine unabhängige Untersuchung von alten Verdachtsfällen rechtsextremer Gewalt gefordert. Eine solche wissenschaftliche Überprüfung nach dem Vorbild von Berlin und Brandenburg habe auch für Politik und Behörden einen Mehrwert, sagte der Berliner Politologe Christoph Kopke am Montagabend in Bochum auf einer Podiumsdiskussion der Ruhr-Uni. Allerdings müsse dafür der politische Wille vorhanden sein.

»Dabei geht es nicht darum, den Staat vorzuführen«, betonte Kopke, der an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht lehrt und eine entsprechende Studie in Brandenburg geleitet hat. Das brandenburgische Innenministerium und das Berliner Landeskriminalamt hatten in den vergangenen Jahren jeweils Wissenschaftlerteams beauftragt, rechte und mutmaßlich rechte Tötungsdelikte in den beiden Bundesländern seit der Wiedervereinigung neu zu untersuchen. Dafür erhielten sie etwa Zugang zu Gerichts- und Ermittlungsakten. Beide Studien führten dazu, dass mehrere Fälle in den Polizeistatistiken neu bewertet wurden. Brandenburg stufte neun weitere Tötungen als politisch rechts motiviert ein, Berlin sieben.

Aus Sicht des Soziologen Hendrik Puls gibt es auch in NRW Anlass, alte Fälle neu zu bewerten. Er verwies auf den Dreifachmord in Overath, dessen Einordnung in der Polizeistatistik seit Jahren umstritten ist. Dabei hatte 2003 der bekennende Rechtsextremist Thomas Adolf einen Anwalt sowie dessen Frau und Tochter erschossen. Bis heute stufe das Landesinnenministerium die Tat selbst jedoch nicht als politisch motiviert ein, sagte Puls. Und dies, obwohl Adolf die Tatwaffe an andere Neonazis weitergegeben und in einem unmittelbar nach der Tat verfassten Flugblatt geschrieben hatte, dass nun »mit der Befreiung des Reichsgebietes und der strafrechtlichen Verfolgung der Hochverräter begonnen« worden sei.

Journalisten und zivilgesellschaftliche Organisationen haben mehrfach höhere Fallzahlen rechtsextremer Gewalt recherchiert, als in den Polizeistatistiken ausgewiesen sind. Im vergangenen Jahr waren »Zeit Online« und »Tagesspiegel« zu dem Schluss gekommen, dass seit 1990 bundesweit mindestens 169 Menschen durch rechte Gewalttäter getötet wurden. In den amtlichen Statistiken ist jedoch nur rund die Hälfte dieser Fälle als politisch motiviert gelistet.

Trotz Zweifeln in mehreren Fällen sei die Statistik rechter Tötungsdelikte in NRW seit 1990 nachträglich nur in einem Fall korrigiert werden, sagte Puls: um das Dortmunder NSU-Opfer Mehmet Kubasik. Der Kioskbesitzer war 2006 von den Rechtsterroristen ermordet worden. Wie auch bei anderen NSU-Opfern ermittelte die Polizei lange Zeit zunächst im Umfeld Kubasiks. Laut amtlicher Statistik sind seit 1990 NRW-weit elf Menschen durch rechte Gewalttäter getötet worden. »Zeit« und »Tagesspiegel« kamen hingegen auf 24 Todesopfer.

An der Ruhr-Universität hat im Februar eine am Lehrstuhl für Kriminologie angesiedelte Nachwuchsforschungsgruppe zur Strafverfolgung rechtsextremer Gewalt ihre Arbeit aufgenommen. Das auf drei Jahre angelegte Projekt wird von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung gefördert. epd/nd

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