Geberkonferenz mit Vorbehalt

In Brüssel soll Syrien humanitär geholfen werden, nicht aber dessen Regierung

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch nach acht Jahren ist der Krieg in Syrien nicht beendet, doch über den Wiederaufbau in einer Nachkriegszeit wird bereits seit einiger Zeit in verschiedenen internationalen Gremien nachgedacht. Denn eines ist klar: Aus eigener Kraft würde das Land Jahrzehnte dafür brauchen, wenn es überhaupt zu schaffen wäre. Bis auf die Hauptstadt Damaskus sind die Großstädte teilweise sehr stark zerstört.

Das betrifft sowohl die Wohnsubstanz als auch die Industrieanlagen und die technische Infrastruktur: Straßen, Strom- und Wasserleitungen; einfach alles, was für eine Revitalisierung erforderlich ist, damit Flüchtlinge zurückkehren können bzw. Möglichkeiten zum aktiven Wiederaufbau erhalten. Etwa fünf von zu Kriegsbeginn 21 Millionen Syrern haben ihre Heimat verlassen.

Es gab in der Vergangenheit schon sechs Zusammenkünfte, um Geld für die Syrien-Hilfe einzusammeln, vorwiegend regionale Treffen im Nahen Osten. Unter Schirmherrschaft der UNO versammelt man sich jetzt zum dritten Mal. Zuletzt wurde 2018 in Brüssel 4,3 Milliarden Dollar zugesagt. Überwiesen wurden schließlich sogar sechs Milliarden.

Es ging in der Vergangenheit allerdings weniger um die Finanzierung des Wiederaufbaus in Syrien, sondern vor allem der Flüchtlingslager in Jordanien, Libanon und der Türkei. Zum einen waren zumindest Jordanien und Libanon mit dem Einreffen Hunderttausender Syrer überfordert und bedurften großer Mengen an Hilfslieferungen für die Errichtung von Notunterkünften, Ernährung und ein Mindestmaß an medizinischer Versorgung. Zum anderen sollte der Flüchtlingsstrom aus Syrien nach Westeuropa gestoppt werden.

Jetzt aber lautet die von der UNO formulierte Aufgabe auf baulich-technische Instandsetzung eines kaputten Landes, aber genau damit beginnen die Probleme der Gastgeber in Brüssel, nämlich der potenten EU-Staaten, allen voran Deutschland und Frankreich. Nicht dass sie die Mittel dazu nicht hätten. Sie tun sich schwer damit, wem sie damit neben der syrischen Bevölkerung objektiv auch helfen: Und das ist nun mal die syrische Regierung. Die Führung von Präsident Baschar al-Assad kontrolliert derzeit wieder mindestens drei Viertel des syrischen Territoriums. Dort herrscht Frieden, und dort, eigentlich nur dort, kann Wiederaufbau stattfinden.

In Berlin, Brüssel und Paris hält man aber nach wie vor an den Ziel fest, Assad zu stürzen, auch wenn das verklausuliert ausgedrückt wird. »Wir fangen nicht an, Syrien wiederaufzubauen ohne einen sinnvollen politischen Übergang«, zitiert dpa dazu einen ungenannten EU-Verantwortlichen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte beim Gipfel der Arabischen Liga mit der EU Ende Februar in Ägypten die arabischen Staaten aufgerufen, gemeinsam mit der EU auf einen politischen Wandel in Syrien zu drängen. Ganz unverblümt hatte sie gefordert, nicht hinzunehmen, dass Assad aus dem syrischen Krieg als Sieger hervorgeht.

Zu Ende gedacht, hieße das: In Brüssel könnte eine Menge Geld für das notleidende Syrien eingesammelt werden. Aber es kann nicht einfach eingesetzt werden. Davor steht der erpresserische Vorbehalt eines Regime-Wechsels. Hilfsorganisationen sind entsetzt über diese Schizophrenie, die ihrem humanitären Auftrag entgegensteht und in der Praxis zu paradoxen Situationen führt. So beklagt sich Oxfam, ein internationaler Verbund von Hilfsorganisationen, dass man daran gehindert werde, nachhaltig zu helfen, also Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Davon könnte ja »das Regime« profitieren. Das ist offenbar die Vorgabe westlicher Geldgeber.

Konkret sehe das so aus: Geldgeber - die Oxfam nicht nennt - wollen lieber das Verteilen von Brot unterstützen als die Wiederherstellung der Stromversorgung einer Bäckerei. Ein weiteres Beispiel sei, dass lieber Wasser in großen Mengen hergeschafft werde, statt einen Brunnen zu reparieren. Diese Art der Hilfe, kritisiert Oxfam, orientiere sich aber nicht an den Bedürfnissen der Menschen. Diese, so der Syrien-Verantwortliche von Oxfam, Moutaz Adham, »wollen nicht immer nur Dinge bekommen, sondern ihre Leben wieder aufbauen und für sich selbst sorgen«.

Es geht auch anders: Die nicht konfessionsgebundene, nichtstaatliche Aga-Khan-Stiftung mit Sitz in Genf hat einen Vertrag zum Wiederaufbau in der zweitgrößten syrischen Stadt Aleppo abgeschlossen - mit der syrischen Regierung. Nach Brüssel aber hat Damaskus nicht einmal einen Vertreter entsenden dürfen.

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