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Rot-Rot-Grün als Phantasiegebilde
Der Verzicht von Wagenknecht auf den Vorsitz der Linksfraktion ist eine Chance für die SPD, meint Albrecht von Lucke
Was für eine Gemeinsamkeit: Am 11. März 1999 trat Oskar Lafontaine als Bundesfinanzminister und SPD-Vorsitzender zurück. Auf den Tag genau 20 Jahre später erklärte Sahra Wagenknecht, dass sie im Herbst nicht erneut für den Fraktionsvorsitz kandidieren werde. Und wie es der »Zufall« so will, schießen sofort neue Koalitionsspekulationen in die Höhe - als ob Wagenknechts Abgang umstandslos einen neuen Honeymoon für Rot-Rot-Grün bedeuten könnte.
Doch diese Hoffnungen, so man sie denn teilt, sind allemal verfrüht.
Erstens verfügt R2G derzeit schon rechnerisch über keine Mehrheit im Bund. Zur Erinnerung: Der Einzug der AfD in den Bundestag 2017 und der Wiedereinzug der FDP bedeuteten eine gewaltige Zäsur für die Linke. Damit ist die gesamte Republik massiv nach rechts gerutscht, kommt R2G nur noch auf 40 Prozent, Tendenz fallend. Die von Willy Brandt 1982 beschworene »Mehrheit jenseits der Union« hat sich somit bis auf Weiteres erledigt.
Zweitens: Wagenknechts Abgang ändert noch nicht die grundsätzliche Zusammensetzung der Fraktion. Die Linkspartei bleibt bis auf Weiteres gespalten - in ein reformerisch-regierungswilliges und ein rein oppositionelles Anti-SPD-Lager.
Und Drittens: Jenseits der Lagerunterschiede innerhalb der Linkspartei gibt es weiterhin große Unterschiede zwischen SPD und LINKE in Gänze, insbesondere in der Außenpolitik, speziell bei der Haltung zur NATO. Deshalb ist eine Koalition auf Bundesebene momentan auch inhaltlich faktisch ausgeschlossen.
Zumal die baldige Ex-Fraktionsvorsitzende der Partei ja bis auf Weiteres erhalten bleibt: Wie hat es Jan Korte, der Parlamentarische Geschäftsführer, so schön formuliert: »Sahra Wagenknecht wird unsere Partei wie gewohnt streitbar begleiten.« Und ihre Wahlkampfauftritte werden nach dem Abgang umso mehr ziehen. Dafür sorgt schon der Nostalgiefaktor. Denn jeder Abgang einer bzw. eines Unvollendeten, siehe Sigmar Gabriel (SPD), erzeugt Sehnsüchte nach einem Comeback. Zu erwarten sind also, speziell im Osten, regelrechte »Sahra-Festspiele«.
Symbolpolitisch wird der Abgang der linken Gallionsfigur also eine Menge bewirken - und zwar vor allem auf Seiten der SPD. Wagenknechts Rückzug bedeutet eine Chance für die SPD - und zugleich eine Hypothek, speziell für ihre Spitze. Denn es macht gerade jenen Hoffnung, die auf eine linke Regierungsalternative setzen.
Fest steht: Der SPD kann es nicht genügen, auf Dauer bloße Funktionspartei für CDU-Mehrheiten zu sein. Um in Zukunft wieder eine reale Kanzler(innen)-Partei zu sein, muss sie wieder eine echte politische Alternative darstellen. Dafür bedarf es der Sammlung der gesamten potenziell linken Kräfte aus Linkspartei, SPD und Grüne - aber nicht in einer (ohnehin gescheiterten) Sammlungsbewegung, sondern in einer Koalitionsalternative, eben in R2G. Diese ist mit Wagenknechts Abgang zwar nicht realistischer geworden, aber zumindest wieder (leichter) denkbar. Einerseits braucht die SPD-Spitze diese Hoffnung, andererseits wird es sie in eine fatale Klemme bringen: Denn was durch die Hoffnung auf R2G vergrößert wird, ist der schon jetzt immense Sog aus der Großen Koalition heraus. Und nach den absehbaren SPD-Verlusten in Bremen und bei der Europa-Wahl, aber vor allem im Osten, könnte sich der Sog noch um einiges verstärken.
Durch mögliche Neuwahlen im Bund wird aber R2G keineswegs möglich. Dafür sind auch die tiefen Verletzungen zwischen SPD und Linkspartei viel zu schwer. Nach der Wahl kann daher nur eine erneute Regierung unter Unionsführung zustande kommen. Dann werden sich die Grünen in ihr (erstrebtes) Schicksal fügen müssen, nämlich entweder Schwarz-Grün zu regieren oder gar, so die Höchststrafe, mit Lindner und Jamaika.
Eine echte Chance für SPD und LINKE kann es dagegen nur in einer gemeinsamen Oppositionszeit geben. Diese müsste dafür genutzt werden, das völlig zerrüttete Verhältnis zu klären. Beide Parteien müssen von der Konfrontation zur Kooperation übergehen. Aus einem destruktiven Verhältnis muss ein konstruktives werden. Entweder die deutsche Linke begreift dies endlich - oder ihre Spaltung wird sich vertiefen und ihre Chancenlosigkeit zunehmen. Wie hatte Herbert Wehner 1982/83 nach dem Ende der Brandt-Schmidt-Ära seherisch prophezeit: Die Zeit ohne eigene linke Kanzlerschaft werde 16 Jahre dauern. Diesmal dürfte es noch länger sein.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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