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- Rückgabe kolonialer Raubgüter
Wir kümmern uns im Selbstgespräch
Der Kampf um Kolonialobjekte ist nicht nur Symbolpolitik
1919 endete der deutsche Kolonialismus im engsten Sinne eines direkten Zwangs. In einem weiteren Sinn besteht er bis heute: Völkerrechtlich gilt der - nicht nur deutsche - Kolonialismus per se nicht als Verbrechen. In Museen, auch deutschen, symbolisieren noch immer menschliche Gebeine und unter höchst fragwürdigen Umständen »gesammelte« Objekte sein Fortdauern.
Zumindest hier bewegt sich nun etwas. Offenbar hat die Rückgabeinitiative für afrikanisches Kulturerbe, die Frankreichs Präsident Emmanuel Macron 2017 anstieß, für Zugzwang gesorgt. Bund, Länder und Kommunen haben sich auf »Erste Eckpunkte« zum Umgang mit kolonialen Sammlungen verständigt. Darin findet sich immerhin die Bereitschaft, Grundlagen dafür zu schaffen, »Kulturgüter aus kolonialen Kontexten zu identifizieren, deren Aneignung in rechtlich und/oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte, und deren Rückführung zu ermöglichen«. Menschliche Überreste »aus kolonialen Kontexten« will man restituieren. Dafür sollen die Bestände digitalisiert und ein Austausch mit den einst Kolonisierten angestrebt werden.
Doch rechtlich bleibt das vage. Während sich Deutschland 1998 der »Washingtoner Erklärung« zu NS-Raubkunst verpflichtete, gibt es bezüglich der kolonialen Sammlungen nichts Vergleichbares. So beruft sich das Papier auch darauf, dass »nicht alle Kulturgüter aus kolonialen Kontexten unmittelbar gewaltsam entzogen wurden«. Hinsichtlich des NS hingegen wird nicht nur die unmittelbare Weg- oder Beschlagnahme berücksichtigt, sondern auch eine Weggabe aus Verfolgungsgründen. Für die Kolonialsammlungen wird eine solche Regelung ausgeschlossen. So bleiben die »Eckpunkte« weit hinter dem wissenschaftlichen Bericht an Macron zurück, der 2018 eine Umkehr der Beweislast forderte. Entgegen allen Beteuerungen behalten die deutschen Institutionen die Verfahren in der Hand. Im Kommentar der Staatsministerin Michelle Müntefering zu dem Beschluss klingt das an: »Wir als kulturpolitisch Verantwortliche in Deutschland kümmern uns (...)«.
In jenem Bund-Länder-Kommunen-Papier ist viel von »Dialog« die Rede. Doch ist es Resultat eines Selbstgesprächs der deutschen Politik. Ob es die Restitution voranbringt, hängt auch davon ab, inwieweit die Gesellschaft dieses Selbstgespräch beendet und den Nachkommen der Kolonisierten zuhört. Sich nicht nur erinnert, sondern auch erinnern lässt und Schlüsse daraus zieht. Das gehört zum wissenschaftlichen Projekt der »postkolonialen Studien«. Was aber bedeutet »postkolonial« speziell für die deutsche Gesellschaft und Geschichte? Können Forderungen nach Anerkennung und Perspektiverweiterung nicht auch weltsystemische Kritik verdecken?
Die Debatte um die Rückgabe kolonialer Kulturgüter wird weitergehen. Sie ist mehr als bloß Symbolpolitik: ein sehr konkreter Anlass, das noch gegenwärtige Vergangene mit dem Blick auf eine bessere Zukunft zu verhandeln. Eine völkerrechtliche Verurteilung des Kolonialismus wäre hierbei nicht das Ziel. Aber eine wichtige Etappe.
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