»Einfache Leute« vertreten

Der Rückzug von Sahra Wagenknecht ist ein großer Verlust für die Linkspartei. Die muss sich entscheiden, wen sie vertreten will.

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Der angekündigte Rückzug von Sahra Wagenknecht aus der Fraktionsspitze der Linken im Bundestag bedeutet für die Partei eine große Zäsur. Zumal ihr wenig später auch ihre Stellvertreterin und enge Vertraute Sevim Dagdelen folgte. Mit Wagenknecht verliert die Parteispitze nicht nur ihre bekannteste und weit über die eigene Anhängerschaft hinaus beliebte Politikerin, sondern auch die profilierteste Vertreterin einer politische Strömung, die für die Bindung und Gewinnung von Wählern in den klassischen Klientelen der Partei von existenzieller Bedeutung ist.

Wagenknecht steht für die Fokussierung auf klassische linkssozialdemokratische Sozial- und Reformpolitik und kritisierte in diesem Zusammenhang auch vehement die in der Partei mehrheitlich vertretene migrationspolitische Ausrichtung, die auf dem Prinzip ungeregelter Zuwanderung und unbegrenzter Niederlassungsfreiheit basiert.

Wobei dieser Konflikt nur die plakative Spitze des Dissenses abbildet, da es im Kern um die Frage geht, ob sich die Partei eher kommunitaristisch als Vertreterin sozial und soziokulturell marginalisierter Menschen aufstellt oder als eher postmoderne Kraft, die sich unter anderem mit Gender- und Identitätsthemen an die urbanen Mittelschichten wendet. Wagenknecht hat stets Probleme wie Niedriglöhne, Wohnungsnot, Alters- und Kinderarmut, aber auch das Gefühl abgehängt zu sein und keine Stimme zu haben, thematisiert. Das brachte ihr besonders - aber nicht nur - im Osten viel Sympathie ein. Und sie hat die objektiv vorhandene Konkurrenz um Ressourcen der Daseinsvorsorge zwischen ärmeren Einheimischen und Migranten thematisiert - ohne das Asylrecht dabei in Frage zu stellen. Dennoch wurde sie auch von »Parteifreunden« fortwährend als »Rassistin« geschmäht.

Kontra: Scheitern als Chance
Thomas Goes findet: Die LINKE muss eine verbindende Klassenpolitik machen und Kämpfe gegen Ausbeutung, Rassismus und Sexismus verbinden.

Ihre Gegner haben diese Auseinandersetzung augenscheinlich gewonnen. Auch weil die maßgeblich von Wagenknecht ins Leben gerufene Sammlungsbewegung »Aufstehen« sich weder als eigenständige, überparteiliche Kraft entwickeln konnte, noch als ausreichende »Schwungmasse« für die innerparteiliche Auseinandersetzung taugte. In Teilen der Partei wird dies und auch der letztlich daraus resultierende Rückzug von Wagenknecht als Erfolg und als Chance gewertet, die Linkspartei nunmehr geeint in die kommenden Wahlkämpfe zu führen.

Dies könnte sich als fatale Fehleinschätzung erweisen. Denn bei den im Herbst anstehenden drei Landtagswahlen in Ostdeutschland droht der Partei ein regelrechtes Desaster. Rot-Rot-Grün in Thüringen und Rot-Rot in Brandenburg haben keine realistische Chance auf eine Wiederwahl und in Sachsen könnte sich der bundesweit etwas abgeflachte Vormarsch der AfD ungebrochen fortsetzen. In allen Ländern drohen der Partei empfindliche Stimmenverluste, sowohl in Richtung AfD als auch zur rhetorisch dezent linksgewendeten SPD. Wagenknecht hätte dies zwar nicht im Alleingang verhindern können, doch ihre offensichtliche und von ihren Gegnern genüsslich auch medial inszenierte Demontage wird der Partei zusätzlich schaden.

Was tun? Mit wohlmeinenden, aber inhaltsleeren Beschwörungen der »Einheit der Partei« wird es nicht getan sein. Im Gegenteil: Es stellt sich die Frage, ob der tiefe Graben in Fragen wie der Migrationspolitik, der klassenpolitischen Orientierung und der Bezugnahme auf Heimatverbundenheit und Nationalstaat überhaupt noch in Form eines tragfähigen Kompromisses zu überwinden ist. Eine Zwitterpartei, die gleichermaßen globalisierungsaffine, urbane Kulturlinke und verbitterte, sich abgehängt fühlende Menschen mit Armutsängsten und ohne universitäre Bildung ansprechen und vertreten will, kann wohl auf Dauer nicht funktionieren. Wenn die Linkspartei vorrangig als Teil einer »liberal-weltoffenen Mitte« und nicht als konsequente Vertreterin der sozialen Interessen der viel beschworenen »einfachen Leute« wahrgenommen wird, macht sie sich überflüssig.

Rainer Balcerowiak schreibt unter anderem regelmäßig fürs »nd« und ist Autor des im Oktober 2018 erschienenen Buchs »Aufstehen und wohin gehts?«

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