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Das System brennt

Die Klimakrise hat das Zeug, eine neue Bewegung für weltweite Gerechtigkeit und progressive Systemkritik zu entfachen.

  • Lorenz Gösta Beutin
  • Lesedauer: 6 Min.

»Die großen Unternehmen in den Industrieländern haben die globale Erwärmung maßgeblich verschuldet.« Der Peruaner Saúl Luciano Lliuya aus Huaraz weiß genau, wovon er redet. Sein Haus liegt unweit vom Andensee Palcacocha. Die zwei riesigen Gletscher Palcaraju und Pucaranra der Cordillera Blanca hängen über dem glasklaren Wasser wie ein Damoklesschwert. Unaufhaltsam nagt der Klimawandel an den Jahrhunderte alten Eismassen, immer wieder krachen abgebrochene Gletscherbrocken ins grün-blaue Wasser des Bergsees. Kommen die Gletschermassen am Stück ins Rutschen, wie Wissenschaftler von der Universität Texas in einer Simulation berechnet haben, droht eine bis zu 30 Meter hohe Flutwelle, die die Menschen in den tiefer gelegenen Dörfern mit Leib, Hab und Gut verschlingen wird. Trotz der unmittelbaren Gefahr stehen Klimawandel-Betroffene wie Familienvater Lliuya ohne staatliche Hilfe da.

Auch die privaten Verursacher der Klimakrise schauen weg. In Deutschland hat der einfache Bergbauer mit Hilfe einer deutschen NGO darum Klage gegen den Energieriesen RWE eingereicht. Der größte CO2-Klimakiller-Konzern in ganz Europa soll für die möglichen Schäden haften und für den notwendigen Schutz vorm Klimawandel auf der anderen Seite der Erde zahlen. Nur ein hoher Damm kann die Menschen aus Huaraz noch vor dem Schlimmsten bewahren.

Tausende Kilometer weiter nördlich. Der Hambacher Forst liegt ein paar S-Bahnstationen vom Hauptbahnhof Köln. Einige wenige Schritte über Waldboden, aufgerissene Sandpisten und eine stillgelegte Autobahn sind es zu Fuß bis zur Abbruchkante eines der größten Braunkohle-Tagebaue der Welt. Eine Klima-Aktivistin wird von fünf gepanzerten Polizist*innen mit Schusswaffen im Gürtel weggetragen. Bluteng ziehen sich die Plastikhandschellen um ihre jungen Handgelenke. Für ihren Einsatz kommt sie ins Gefängnis. Anti-Kohle-Aktivist*innen halten hier im Rheinland einen der ältesten Eichenwälder des Kontinents besetzt, haben Baumhäuser gebaut, leben in schwindelerregender Höhe und auf diese Weise die Abholzung der grünen Lunge verhindert.

Der Kampf um den »Hambi«, aber auch das Wissen um die Schäden an fernen Orten wie Peru, hat zehntausende Menschen in ganz Deutschland auf die Straßen gebracht. Das Aktionsbündnis »Ende Gelände« hat Tausende zum zivilen Ungehorsam angeleitet und Bagger, Tagebaue und Kohlebahn-Schienen in Ost und West lahmgelegt. Auch das größte Polizeiaufgebot in der Geschichte von Nordrhein-Westfalen, unter fadenscheinigen Gründen geschickt von der schwarz-gelben Landesregierung in Düsseldorf, konnte den immer breiter werdenden Widerstand gegen die Kohlebagger nicht brechen. Bis heute will die herrschende Politik keine Veranwortung für den Hambacher Forst übernehmen. Es ist ein Gericht in Münster, das im Frühjahr über die Zukunft des Waldes entscheiden wird.

»Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!«. Ende 2018, während der Weltklimagipfel in Kattowice, Polen, stattfindet: In Kiel ziehen hunderte Mädchen und Jungen durch die Straßen. Sie schwänzen die Schule, jeden Freitag, um ihre Wut, ihre Ohnmacht gegenüber der untätigen Politik auf Plakaten und mit Sprechchören in die Stadt zu tragen. Woche für Woche demonstrieren in ganz Deutschland Schülerinnen und Schüler gegen die Klimapolitik der Bundesregierung, die eigentlich eine Politik des Nichthandelns ist. Seit Jahren wird der klimapolitisch notwendige Kohleausstieg verschleppt, auf Kosten der Gesundheit der Menschen neben Tagebau und Kraftwerk, auf Kosten des Klimas und auf Kosten der Energiewende, dem Ausbau von Windenergie und Solarkraft.

Jede*r Erstklässler*in hat längst verstanden, was da passiert: Die Energiekonzerne wollen mit ihren alten Kohlekraftwerken noch so lange wie möglich Kohle machen und bremsen, wo sie können. Und die Große Koalition spielt dieses Spielchen willig mit. Schalten die Kohlekonzerne trotzdem mal einen ihrer dreckigen Meiler ab, bekommen sie über die »Sicherheitsreserve« sogar noch eine Art Abwrackprämie in Milliardenhöhe hinterher geworfen.

Ob in den peruanischen Anden, dem rheinischen Braunkohle-Revier oder bei den Protesten der jungen Generation - bei der Klimafrage geht es immer auch um globale Fragen von Gleichheit und Ausbeutung. Die Linke in Deutschland steht für gesellschaftliche Alternativen in allen Bereichen des menschlichen Lebens. Die Grundlage, auf der das zu erreichen ist, ist eine Umwelt, die nicht aus den Fugen geraten ist. Eine Umwelt, die vom Menschen in Ruhe gelassen statt gnadenlos ausgebeutet wird. Eine Gesellschaft, eine Wirtschaft, die nicht den Banken und Konzernen dienen, sondern den Menschen, sind dafür eine Voraussetzung.

Das Ziel, für das wir eintreten, ist nicht abstrakt, sondern sehr konkret. Im Programm der LINKEN ist es auf den Punkt gebracht: »Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse demokratisch gestalten können.« Dieser Anspruch, diese Wirklichkeit ist heute nicht gegeben - weder in Berlin, noch in Bangladesch oder Botswana. Um diese bessere Welt für Alle - und dieser Abschied von nationaler Beschränktheit muss unser Anspruch sein - - zu erreichen, brauchen wir nicht weniger als ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus.

Spätestens heute, 2019, im Jahr vier nach Abschluss des Pariser Klimaabkommens, muss jedem klar denkenden Linken die Scheuklappe von den Augen gerutscht sein: Angesichts der rasant voranschreitenden Klimaveränderung kann es kein Rot mehr ohne Grün geben. Der Sozialismus der Zukunft ist auch ein Öko-Sozialismus.

Der große Unterschied, das Alleinstellungsmerkmal der Linken zu allen anderen Ideologien in Deutschland ist schnell erklärt. Und so einleuchtend wie einfach: Eine linke Klimapolitik will den Kapitalismus nicht grün machen. Die Weltverbesserungsfahne der Linken wehte immer in roter Farbe. Die Klimafrage ist auch eine Klassenfrage. Rot steht für grundlegende Kritik, echte Veränderung, eine andere, solidarische Gesellschaft. Die Ausbeutung von Mensch und Natur will eine linke (Klima)Politik nicht von umweltschädlich auf Öko umstellen. Die Linke steht für Ökologie und Klimagerechtigkeit. Die rote Fahne braucht mehr grün, oder sie kann eingemottet werden. Ökologie und Klimagerechtigkeit funktionieren im Kapitalismus nicht. Bis zum heutigen Tag hat der Kapitalismus als Wirtschafts- und Gesellschaftsform nicht nur sein glänzendes Versprechen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit nicht eingelöst. Durch die ihm eigene Art des Produzierens, die die ganze Welt zur Ware macht, zu Verschleiß statt Dauerhaftigkeit, zu brutalem Wettbewerb statt Kooperation verdammt, werden Millionen von Menschen in Armut, Abhängigkeit und Ausbeutung gestürzt.

Schauen wir uns an, wer politisch aktuell gegen »Fridays for Future« hetzt, wer beim Klimaschutz auf die Bremse tritt, dann sehen wir, wo unsere Gegner stehen: Es sind die, die sich eine andere, solidarische Gesellschaft nicht vorstellen können. Die es nicht wollen. Weil sie andere Interessen vertreten: Es sind die Lindners, Merkels, Ziemiaks dieser Welt, die das neoliberale Mantra, dass es keine Alternative zum Bestehenden geben darf, gebetsmühlenartig wiederholen. Und es sind die Höckes, Gaulands und anderen, die die Gesellschaft weiter nach rechts rücken wollen.

Die Dringlichkeit des Klimawandels nimmt mit jedem gestiegenen Zentimeter des Meeresspiegels, mit jedem Dürresommer, mit jedem Klimageflüchteten weiter zu. Weil der Kampf um Klimagerechtigkeit eine Frage des Überlebens ist, ist die Klimapolitik eine der zentralen sozialen Fragen der Zukunft. Eine linke Klimapolitik stellt die Machtfrage, denn wir wollen verändern, nicht vom Spielfeldrand zuschauen, wie das Endspiel zugunsten der Reichen gewonnen wird.

Der Autor ist Energie- und Klimapolitiker der LINKEN im Bundestag und Sprecher seiner Partei in Schleswig-Holstein.

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