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Streik an Kliniken steht bevor
Der Marburger Bund hat die kommunalen Tarifverhandlungen abgebrochen
Krankenhausärzte könnten bald streiken. Die Tarifkommission der Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) hat die im Januar gestarteten Tarifverhandlungen mit dem Verband der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) am Sonnabend nach bisher drei Verhandlungsrunden für gescheitert erklärt. Die bisherigen Angebote der Arbeitgeber seien eine Provokation, deren Annahme »für den MB die Aufgabe der Selbstachtung bedeutet hätte« erklärte der MB-Vorsitzende Rudolf Henke nach der Sitzung der Tarifkommission in Berlin.
Der MB fordert für die rund 55 000 Ärzte in mehr als 500 kommunalen Kliniken unter anderem eine Gehaltserhöhung um fünf Prozent mit einer Laufzeit von einem Jahr. Die VKA hat bisher eine zweistufige Erhöhung um insgesamt 2,23 Prozent angeboten - bei einer Laufzeit von 30 Monaten. Auch bei den Regelungen zu den Bereitschaftsdiensten der Ärzte gibt es keine Bewegung. Die Gewerkschaft verlangt eine verbindliche Obergrenze für diese Dienste, deren vollständige Wertung als Arbeitszeit, wenn sich die dazu eingeteilten Kollegen in der Klinik aufhalten, sowie die tarifvertragliche Garantie von zwei freien Wochenenden pro Monat. Zudem sollen Bereitschaftsdienste nur noch angeordnet werden können, wenn es in den elf Kalendertagen zuvor keine zusammenhängenden Arbeitszeiten von zehn Stunden und mehr gegeben hat.
Auf diese Forderungen sei die VKA so gut wie gar nicht eingegangen, so der MB-Vorsitzende. Im Gegenteil: In ihrem »Angebot« hätten die Arbeitgeber darauf bestanden, dass die Klinikleitungen auch nachträglich zwischen dienstlich veranlasster und vorgeblich nicht dienstlich veranlasster Anwesenheit im Krankenhaus unterscheiden dürfen. Das sei »mit uns nicht zu machen«, man bestehe auf »manipulationsfreien Arbeitszeiterfassungssystemen«, so Henke.
Doch auch jenseits der Fragen von Gehaltserhöhungen und Arbeitszeitgestaltung gab es in den bisherigen Verhandlungsrunden erhebliche Konflikte um ein altes Streitthema. Denn die VKA verlangt vom Marburger Bund eine Art Unterwerfungserklärung in Bezug auf das Tarifeinheitsgesetz, welches konkurrierende Tarifverträge innerhalb von Betrieben verhindern soll. Die Spartengewerkschaft beharrt dagegen auf sein Recht, dauerhaft Tarifverträge für Ärzte in allen Tarifbereichen abschließen zu können und auch in anderen Sektoren des Gesundheitswesens aktiv zu werden, falls ein derzeit geltendes Stillhalteabkommen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di über die jeweilige tarifliche Vertretungsmacht scheitern sollte.
In dieser Frage träfen die kommunalen Arbeitgeber einen »sehr empfindlichen Nerv«. Der Marburger Bund lasse sich »von niemandem vorschreiben, wie weit unser Vertretungsanspruch als Ärztegewerkschaft reicht«, bekräftigte Henke. In dieser Frage werde es keine Kompromisse geben. Die Gewerkschaft beruft sich dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 2017 zum Tarifeinheitsgesetz. Die Karlsruher Richter hatten das Gesetz zwar im Kern als verfassungskonform bewertet, jedoch ausdrücklich darauf verwiesen, dass seine Anwendung tarifvertraglich ausgeschlossen werden kann. Dies, so Henke, sei mit anderen Arbeitgeberverbänden bereits erfolgt, und der Marburger Bund sei fest entschlossen, seine Koalitionsfreiheit auch gegenüber der VKA durchzusetzen.
Ein Dauerbrenner ist ferner der Konflikt um die bei den Kommunen angestellten Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen. Diese befänden sich seit Jahren in einem quasi tariflosen Zustand, besonders die Zulagen betreffend, erläuterte MB-Handlungsführer Rolf Lübke. Die Gehaltsdifferenz zu den Kollegen in den Klinken beträgt - ohne die dort üblichen Zuschläge - bis zu 1000 Euro pro Monat. Es sei beschämend, dass diejenigen Ärzte, die das unverzichtbare Gerüst der Sozialmedizin bilden, so abgespeist werden, kritisierte Lübke. Langfristig fordert der Verband einen einheitlichen Ärztetarifvertrag, der auch den öffentlichen Gesundheitsdienst umfasst. Doch derzeit sei die VKA nicht einmal bereit, darüber überhaupt zu reden.
Henke kündigte an, dass es jetzt jederzeit zu ersten Warnstreiks kommen könne, wobei selbstverständlich eine Gefährdung von Patienten durch entsprechende Notdienstvereinbarungen ausgeschlossen werde. Außerdem soll mit den Vorbereitungen für eine Urabstimmung begonnen werden, um den Druck weiter zu erhöhen. Einen entsprechenden Zeitplan dafür gebe es bislang aber nicht, denn man müsse jetzt natürlich auch die Stimmung unter den Mitgliedern eruieren, sagte Henke auf Nachfrage. Und man werde auch »das Telefon nicht abschalten, damit die Arbeitgeber uns erreichen können, wenn sie in ernsthafte Verhandlungen einsteigen wollen.«
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