Nicht nur Mannheim darf jubeln

Der SV Waldhof gewinnt vor Gericht gegen den Deutschen Fußball-Bund. Ein Urteil mit Folgen, auch im Konflikt des Verbandes mit den Fanszenen

  • Michael Wilkening, Frankfurt am Main
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Spitze des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) hatte am Mittwoch andere Anliegen und entsandte keinen führenden Funktionär zur Verhandlung nach Frankfurt am Main. Nur ein Sprecher des Verbandes war anwesend, als die 6. Zivilkammer des Landegerichtes das Urteil in der Zivilklage des SV Waldhof Mannheim gegen den DFB sprach. »Die sind alle in Wolfsburg, da ist doch Länderspiel«, sagte der DFB-Sprecher. Es klang beinahe wie eine Entschuldigung.

Es ist davon auszugehen, dass der Verbandsspitze die feinen Häppchen im VIP-Bereich der Wolfsburger Arena nicht so gut schmeckten wie sonst - und das lag weniger am 1:1 der Nationalmannschaft gegen Serbien. Der Geschmackskiller kam aus Saal 21 des Landgerichtes: Der mitgliederstärkste Fachverband der Welt kassierte eine schmerzhafte juristische Niederlage gegen einen Viertligisten. Dem Traditionsverein aus der Regionalliga Südwest wurden drei Punkte wieder zuerkannt, die der DFB ihm wegen Fanausschreitungen in zwei Instanzen seiner Sportgerichte für die aktuelle Saison abgezogen hatte.

Im Mai 2018 musste das Aufstiegsspiel der Mannheimer gegen den KFC Uerdingen in der 82. Minute zunächst unter- und später abgebrochen werden, weil etwa 25 Personen aus dem Fanbereich der Waldhöfer immer wieder Rauchbomben und Raketen auf den Rasen geschossen hatten. Die Verbandsgerichtsbarkeit hatte gegen den Klub aus der Regionalliga Südwest neben einer Geldstrafe und Auflagen auch einen Drei-Punkte-Abzug verhängt. Weil der SVW »schuldhaft« an einem Spielabbruch wegen Fanrandale beteiligt gewesen sei. Gegen den Punktabzug gingen die Waldhöfer nach dem Ende der Sportgerichtsbarkeit weiterhin vor, riefen das Landgericht in Frankfurt an - und erhielten Recht.

»Der Punktabzug verfälscht den sportlichen Wettbewerb. Diesen in fairer Weise zu fördern, ist oberster Satzungszweck des DFB«, begründete der vorsitzende Richter Richard Kästner das Urteil der Kammer. Gleichzeitig machte er klar, dass die Ausschreitungen im Stadion in keinster Weise durch den Urteilsspruch gebilligt würden. Dennoch gelte der Fair-Play-Gedanke, und nach dem dürften nicht die Spieler des SVW für Taten bestraft werden, die andere begangen haben. Der Verband habe, so Kästner, seine eigene Satzung nicht richtig angewandt. Ein Punktabzug sei zwar grundsätzlich denkbar, aber nur, »wenn er dazu dient, einen unberechtigt oder in sonstiger Weise unfair erlangten Vorteil wieder rückgängig zu machen.« Bei Lizenzverstößen sei das beispielsweise denkbar, bei Fanverfehlungen aber nicht. Kästner verteilte eine deftige verbale Ohrfeige an den DFB.

Der Verband kündigte an, gegen das Urteil in Berufung gehen zu wollen. »Der Richterspruch deckt sich nicht mit unserer Rechtsauffassung«, sagte DFB-Vizepräsident Rainer Koch in einer ersten Stellungnahme, die der Verbandssprecher verlas. Koch hatte sich nach der Anhörung vor dem Landgericht vor vier Wochen noch überzeugt gezeigt, aus dem Streitfall als Sieger hervorzugehen. Jetzt stehen er und der Verband als Verlierer da. Und das stellt den DFB vor ein immenses Problem, denn in der Auseinandersetzung mit der Fanszene in Deutschland sollte die harte Bestrafung gegen den SV Waldhof, einem Viertligisten mit schlechtem Leumund, als Abschreckung dienen. Achim Späth hatte das noch mal in aller Deutlichkeit festgestellt. »Wir befinden uns auf neuen Wegen, aber das wollen wir so und gehen diesen Weg jetzt«, sagte der Richter des DFB-Bundesgerichtes im September des vergangenen Jahres, als er den Drei-Punkte-Abzug gegen die Mannheimer in zweiter Instanz der Sportgerichtsbarkeit bestätigte. Die Botschaft des weltgrößten Fußballverbandes war klar. Nicht nur der SVW sollte für Fanvergehen bestraft, sondern gleichzeitig ein Präzedenzfall geschaffen werden.

Diese Drohkulisse fällt durch das Urteil der Richter in Frankfurt jetzt weg. Der DFB, der sich seit vielen Jahren im Streit mit den Anhängern befindet, muss sich nun eine neue Strategie im Konflikt mit den organisierten Fans erdenken. Wie die aussehen kann, ist angesichts der verhärteten Fronten völlig offen. Im August des vergangenen Jahres kündigte die Fanszene den Dialog mit dem DFB und der Deutschen Fußball Liga auf. Nicht nur beim Einsatz von Pyrotechnik gibt es einen Diskurs, auch die Montagspiele in den Profiligen, die Zerstückelung der Spieltage allgemein und die Aufstiegsregelung in den Regionalligen sorgten für Ärger. Der Weg des Punktabzuges bei Zuschauerverfehlungen sollte ein wirksames Mittel im immer wieder offen ausgetragenen Konflikt mit den organisierten Fans sein.

Für den SV Waldhof ist der Richterspruch ein Sieg. Die Mannheimer führen die Tabelle der Regionalliga Südwest souverän an und werden in ein paar Wochen den Aufstieg feiern. Für den DFB bedeutete das Urteil hingegen eine »krachende Niederlage«, wie es Waldhof-Anwalt Johannes Zindel umschrieb. Und eine, die aus seiner Sicht nicht nötig gewesen wäre. »Der DFB hat hervorragende Juristen«, erklärte der Sportrechtler: »Aber die Borniertheit und die Rechthaberei hat dafür gesorgt, dass die eigene Satzung falsch angewendet wurde.« Zindel kann die Vorgehensweise des Verbandes nicht verstehen: »Das ist ein Armutszeugnis für den DFB.«

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