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Wie Entsetzen steigerbar wurde
Vor zwei Jahrzehnten wurde in Deutschland Kriegführen wieder möglich - auch dank der Lügen rot-grüner Minister
Der eine war ein langweiliger Typ, blass, so lang wie ungelenk. Ein Typ, den zu mögen die Öffentlichkeit sich bis zuletzt nicht wirklich überwinden konnte. Der andere war eloquent, voller egomaner Leidenschaft, ein Macho und Chauvinist. Beide bekleideten Schlüsselämter in der ersten rot-grünen Bundesregierung. Rudolf Scharping, ein SPD-Mann, war Verteidigungsminister. Joseph (Joschka) Fischer von den Grünen leitete das Auswärtige Amt.
So verschieden die beiden Männer auch sind, im März 1999, als der Krieg gegen Jugoslawien begann, wurden beide zu Großmeistern der politischen Lüge. Scharping erklärte vor Journalisten: »Die militärischen Aktivitäten der NATO dienen einem politischen Ziel, nämlich der Abwendung einer humanitären Katastrophe, beziehungsweise der Verhinderung ihres weiteren Anwachsens.« Er sprach von »Völkermord«, von »schwangeren Frauen mit aufgeschlitztem Unterleib«, von »Konzentrationslagern im Norden von Pristina«.
Joschka Fischer rief zum Krieg, indem er in absolut ungebührlicher Weise die Erinnerung an den Holocaust aufrief. Der Pazifismus der 30er Jahre habe Auschwitz erst möglich gemacht: Mit dieser Polemik hatte einst CDU-Mann Heiner Geißler die Grünen noch in Rage versetzt. 15 Jahre später nutzte Fischer diese Schuldkonstruktion als Begründung für einen Angriffskrieg: Wer auf seinem Pazifismus beharre, nehme den Völkermord in Kauf. »Ich habe«, sagte Fischer, »aus der Geschichte nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg, sondern auch: Nie wieder Auschwitz.« Später, als immer deutlicher wurde, dass die NATO Kriegsgründe zurechtgeschneidert hat, versuchte Fischer in Abrede zu stellen, dass er den Nazi-Völkermord und das Morden serbischer Sicherheitskräfte in Kosovo gleichsetzen wollte. Nicht bestritten hat er seinen Vorwurf, Belgrad nehme »ein ganzes Volk zum Kriegsziel«, vertreibe es »durch Terror, durch Unterdrückung, durch Vergewaltigung, durch Ermordung« und destabilisiere dabei die Nachbarstaaten.
Der Krieg begann lange vor den ersten Bombenwürfen. Bereits ein Jahr zuvor waren in der serbischen Provinz Kosovo die Auseinandersetzung zwischen der Polizei und der albanischen »Befreiungsorganisation« UCK eskaliert. Mit einer Offensive eroberten serbische Truppen dann alle Gebiete zurück, die UCK zog sich nach Albanien zurück. Ende September 1998 verurteilte eine Resolution des UN-Sicherheitsrates scharf die serbische Gewalt, die NATO drohte mit Luftangriffen. Doch vorerst wurde verhandelt. Der US-Diplomat Richard Holbrooke besiegelte mit dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic einen Waffenstillstand und die Stationierung von 2000 OSZE-Beobachtern. Das war im Oktober. Im November griff die UCK wieder serbische Polizeistationen an, die Reaktion war nicht minder brutal. Es kam zu Massakern. Am 16. Januar 1999 machte der Ort Racak Schlagzeilen, am 29. Januar diente das Örtchen Rugovo als Mittel medialer Verführung. Scharping notierte in seinem Tagebuch: »Auf dem Flug zum NATO-Gipfel in Washington hatten mir Mitarbeiter die Bilder von getöteten Kosovo-Albanern gezeigt. Beim Anschauen der Fotos Übelkeit. Ist Entsetzen steigerbar?«
Offenbar glaubte Scharping die Geschichte, serbische Truppen hätten vorsätzlich Zivilisten gemordet. In dem Bewusstsein präsentierte der Minister die Fotos der 24 aufgereihten Leichen auf einer Pressekonferenz. Wer hört da auf den Bericht eines deutschen Polizisten, der als OSZE-Beobachter vor Ort war? Laut seinem Bericht kam es nach der Tötung eines serbischen Polizisten durch die UCK zu einem Gefecht. Dabei wurden zahlreiche Angreifer getötet. Zunächst lagen die Leichen verteilt im Ort, dann wurden sie zum Abtransport zusammengetragen und fotografiert. Genau diese Fotos präsentierte Minister Scharping. Ungeprüft.
»Mich elektrisiert ein Hinweis, dass offenbar Beweise dafür vorliegen, dass das jugoslawische Vorgehen einem seit langem feststehenden Operationsplan folgt«, notierte Scharping am 31. März. Der Minister hat da offenbar bereits eine gewisse Vorstellung von einem Papier, das ihm dann auch prompt von Außenminister Fischer zugeschoben wurde. Es betraf die »Operation Hufeisen«. Schon im Dezember 1998, so las Scharping aus dem Papier heraus, sei von Belgrad die systematische Säuberung und die Vertreibung der Kosovo-Albaner geplant worden. Die Grafiken beinhalteten Einzelheiten, nannten sogar die beteiligten jugoslawischen Einheiten beim Namen - und sind mit an absolute Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dreiste Fälschungen, denen selbst Scharpings Untergebene im Verteidigungsministerium kaum Glauben schenken mochten. Und Fischers Außenamt? Das hält alle Berichte der deutschen Botschaft in Belgrad geheim.
Derweil flogen NATO-Piloten Angriff auf Angriff. Die Deutsche Luftwaffe machte den Bombern den Weg frei. Bei 428 Einsätzen feuerten Tornado-Jagdbomber über 200 HARM-Raketen gegen jugoslawische Radarstellungen. Zerbombt wurden unter anderem Brücken, Fabriken, Schulen, Medienhäuser. Die Übermacht war erdrückend. Am 3. Juni billigte das serbische Parlament den von den G-8-Staaten am 6. Mai vorgelegten Friedensplan, und auch Präsident Milosevic stimmte diesem zu.
Eine Woche später stellte die NATO ihre Luftangriffe ein, am 11. Juni marschierten NATO-Truppen in Kosovo ein. Die KFOR-Truppen wurden später der UNO unterstellt. Offizielle Währung: die D-Mark. Über die Kriegstoten gibt es keine verlässliche Zahl. Sie dürfte bei 20 000 liegen. Die Bundeswehr bezog ihr Hauptquartier in Prizren. Schwer bewaffnet, doch untätig. Die wahre Macht in Kosovo lag in den Händen der UCK. Wochenlang hing der Brandgeruch über der Stadt. Die Sieger plünderten die Häuser der vertriebenen Serben und Roma. Bereits in den ersten sieben Wochen nach KFOR-Stationierung wurden laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR 164 000 Serben sowie fast ebenso viele Roma vertrieben.
Rudolf Scharping ist heute Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, Joschka Fischer Lobbyist verschiedener deutscher Konzerne. Als die beiden zum Krieg trommelten, stand im Heeresführungskommando ein junger Oberstleutnant vor Generalstabskarten und verfolgte die NATO-Operationen. Heute ist Eberhard Zorn Generalinspekteur der Bundeswehr und verantwortet derzeit 16 deutsche Militäreinsätze weltweit.
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