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Bezirke sind so reich wie nie
Keiner der zwölf Verwaltungen hat mehr Schulden, finanzielle Situation hat sich verbessert
Auf den ersten Blick ist alles gut. Berlins Bezirke, einst große finanzielle Sorgenkinder, haushalten inzwischen vorbildlich. Im vergangenen Jahr schlossen die Bezirke nach Angaben der Senatsverwaltung für Finanzen mit dem besten Ergebnis seit der Gebietsreform 2001 ab: Eingerechnet aller Überschüsse aus den Vorjahren erzielten sie einen Jahresüberschuss von 142,3 Millionen Euro - damit erhöhte sich das Guthaben der zwölf Verwaltungseinheiten auf 232,2 Millionen Euro.
»Die Bezirke befinden sich in einer Situation, in der sie lange nicht mehr waren«, sagte Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) am Mittwoch bei der Vorstellung der Zahlen. »Das ist das beste Ergebnis, soweit die Geschichtsschreibung reicht«, betonte der Finanzsenator. Er riet den Bezirken, die Rücklagen für Projekte zu nutzen. »Wer sich diese Volumina anschaut, weiß, dass man davon Ordnungsämter prachtvoll ausstatten könnte«, reagierte der Finanzsenator auf Kritik, dass für Ordnungsämter nicht genug Geld zur Verfügung stehen würde.
Doch der Eindruck, die Bezirke horten seit neuestem das Geld, der trügt. »Wir sind kein Krösus, wir bleiben nicht auf dem Geld sitzen«, sagt Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (LINKE) dem »nd«. Zwar stimmt es, dass Lichtenberg mit über 42 Millionen Euro derzeit die meisten finanziellen Mittel auf der hohen Kante hat, aber das Geld sei längst für Vorhaben verplant. »Wir wollen mit den Mitteln unter anderem die Kultschule für sieben Millionen Euro sanieren und in Hohenschönhausen ein neues Nachbarschaftszentrum sanieren«, sagt Grunst. Außerdem werde der Bezirk mit sieben Millionen Euro zusätzlich, also über die vorhandenen Förderprogramme hinaus, Kitaplätze bei den Kitaeigenbetrieben im Bezirk fördern.
Dass die Bezirke finanziell so gut dastehen wie nie, hat unterdessen auch eine nicht so zu begrüßende Ursache: Denn der Überschuss resultiert vor allem auch daraus, dass die vom Senat gewährten Personalmittel von den Bezirken bei weitem nicht ausgeschöpft wurden. Mit rund 89 Millionen Euro wurden die Personalzuweisungen im vergangenen Jahr gar unterschritten. Zum Stichtag 1. Oktober 2018 waren 1800 Stellen bei den Bezirken nicht besetzt. Zum Vergleich: Insgesamt gibt es 22 000 Stellen, das heißt, über acht Prozent der Stellen waren vakant. In den Hauptverwaltungen des Senats liegt die Quote der unbesetzten Stellen lediglich bei knapp über zwei Prozent. »Die wesentlichen Fortschritte haben wir über schnellere Einstellungsverfahren erzielt«, sagt der Finanzsenator. »Es ist eine Entscheidung des Bezirks, lege ich einen Schwerpunkt auf Personalrekrutierung oder lege ich den nicht.« Das Thema »Mangelberufe« taugt indes nicht als Ausrede. »Das Thema Mangelberufe gibt es in den Hauptverwaltungen auch«, sagt Kollatz.
Der Fingerzeig auf die Verantwortung der Bezirke kommt bei den Angesprochenen nicht gut an. »Uns wurden vier, fünf Mitarbeiter von Senatsverwaltungen abgeworben«, kritisiert Lichtenbergs Bezirksbürgermeister. Die Hauptverwaltungen entlohnen deutlich besser. »Wir sind als Bezirke nicht zu blöd, die Stellen zu besetzen«, betont Grunst. Vielmehr stehe man beispielsweise mit Besetzungszeiten der Stellen von unter vier Monaten besser dar als der Senat.
Bleibt das allgemeine Problem der Mangelberufe: Insbesondere Ärzte, Sozialarbeiter und Erzieher suchen die Bezirke nämlich häufig vergeblich. Deren Arbeitsbedingungen wurden zwar durch den Tarifabschluss im Öffentlichen Dienst vor Kurzem deutlich verbessert, aber bis sich das auswirkt, dauert es.
»Es wird noch mehr Anstrengungen bedürfen, eine schnelle Besetzung der freien Stellen zu erreichen«, sagt auch der Bezirksvorsitzende der LINKEN in Marzahn-Hellersdorf, Kristian Ronneburg. Der Bezirk im Nordosten ist erstmals seit vielen Jahren schuldenfrei. Aber auch das habe »leider« viel mit nicht verbrauchten Finanzmitteln zu tun, bedauert Ronneburg.
Statt sich zu kannibalisieren, könnten Senat und Bezirke auch gemeinsam Stellenbesetzungen vornehmen und dazu eine gesamtstädtische Strategie entwickeln - auch wenn sich die Bezirke selbst verwalten sollen. Vom Finanzsenator wird eine solche Hilfe in Form einer elektronischen Unterstützung bei standardisierten Bewerbungsverfahren angeboten. Zudem könnte der Senat ein zentrales Bewerbungsbüro zur Verfügung stellen. Dass Bezirke und der Senat durchaus gut kooperieren können, zeigt die Schulbauoffensive: Die stemmen beide Verwaltungseinheiten inzwischen gut gemeinsam. Seite 11
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