Keine Party ohne Extremisten

Konferenz von Verfassungsschutz und Wirtschaft von lautstarkem Protest begleitet

  • Marie Frank
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist fast wie ein Omen: Dunkle Wolken ziehen am Himmel auf, untermalt von der epischen Musik aus dem Lautsprecherwagen könnte man fast meinen, dass jeden Moment die Welt untergeht. Für die rund 200 Demonstrant*innen, die sich am Dienstagabend in Berlin-Mitte versammelt haben, ist jedoch nicht das Wetter ihr größtes Problem. Viel mehr Sorgen macht ihnen das Treffen von Verfassungsschutz und Großkonzernen, das in diesen Tagen in der Hauptstadt stattfindet.

»Extremismus - steigende Gefahr für Sicherheit und Reputation von Unternehmen« heißt die Konferenz, die das Bundesamt für Verfassungsschutz gemeinsam mit der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) an diesem Mittwoch in Berlin ausrichtet. »RWE, BASF, Telekom und Co. sollen dort auf Staatskosten beraten werden, wie sie Proteste gegen ihre rücksichtslose Profitgier klein kriegen«, kritisiert das »Bündnis gegen das Stelldichein von Verfassungsschutz und Kapital«.

Gegen den Auftakt der Tagung am Dienstagabend in der »Sodom und Gomorra-Bar« haben sie daher eine Protestkundgebung angemeldet, woraufhin das »Get-together« der Konferenzteilnehmer*innen kurzerhand abgesagt wurde. Die Aktivist*innen freut’s, sie sind trotzdem gekommen und feiern eine »Extremisten-Party«. »Wir hätten gerne mitgefeiert, aber wir feiern lieber mit euch auf der Straße, als mit den Überwachungs- und Ausbeutungsextremisten da drinnen«, ruft eine Sprecherin von »Ende Gelände« vom Lautsprecherwagen.

Die Wirtschaftsvertreter blicken indes mit großer Sorge auf die lautstarken Proteste. Man habe die Vorabendveranstaltung abgesagt, um die Sicherheit zu gewährleisten, sagt der Vorstandsvorsitzende der ASW, Volker Wagner, zum Auftakt der Konferenz. Die deutsche Wirtschaft werde immer wieder Ziel von Extremisten, wie die jüngsten Brandanschläge auf Firmenwagen von Amazon zeigen würden. Auch die heutige Veranstaltung sei in den Fokus von Extremisten geraten.

Die Aktivist*innen, vor denen die Großkonzerne solche Angst haben, machen derweil gar nicht den Eindruck einer gewaltbereiten Truppe. Besonders gefährlich sehen sie nicht aus mit ihren Party-Hütchen und Luftschlangen. Eine von ihnen trägt sogar ein Giraffenkostüm. Auch als sich die überwiegend jungen Menschen auf den Weg zum Tagungsort machen, gleicht der tanzende und singende Demonstrationszug eher einem Rave als einem wütenden Mob.

Für Volker Wagner sind jedoch Aktivist*innen wie die Umweltschützer*innen im Hambacher Forst eine Gefahr für die Wirtschaft. Die dürften auch dem Leiter für Konzernsicherheit bei RWE, Stefan Albrecht, ein Dorn im Auge sein, der an diesem Tag über »Unternehmen als Ziele linksextremistischer Agitation« referiert. Die Gefahr, dass die »Reputation von Unternehmen durch einschlägige Gruppierungen schnell und ohne eigenes Verschulden in Mitleidenschaft gezogen werden kann«, betrifft jedoch nicht nur Energiekonzerne, die für den Kohleabbau ganze Wälder und Dörfer zerstören. »Es kann jeden treffen«, so Wagner.

Dass unter den Tausenden Demonstrant*innen im Hambacher Forst nicht nur Extremisten sind, ist für den Interessensvertreter deutscher Unternehmen nicht etwa ein Zeichen für die Legitimität des Protestes, sondern dafür, »dass die Grenze zwischen bürgerlichen Interessenbekundungen und extremistischen Handlungen« fließend sei. Die Proteste gegen RWE, aber auch beim G20 Gipfel oder den Gelbwesten in Frankreich zeigten eine »Entgrenzung zur bürgerlichen Mitte«, warnt auch der Vizepräsident des Verfassungsschutzes, Sinan Selen: Linksextremisten würden sich zunehmend unter bürgerliche Proteste mischen und diese durch professionelle Medienarbeit vereinnahmen.

An dieser Stelle kommt der Verfassungsschutz ins Spiel: Um dies frühzeitig zu erkennen, informiere er im Rahmen des präventiven Wirtschaftsschutzes über eigene Erkenntnisse und Analysen. Diese betreffen sowohl Links- und Rechtsextremismus als auch Islamismus - jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung. Während »Linksextremisten« laut Selen Unternehmen durch Sabotage und Anschläge schwere Schäden zufügten und »auch vor Tötungsversuchen nicht zurückschrecken«, beschädigen Rechtsextreme vor allem »die Marke Deutschland« und »untergraben das Vertrauen der Welt in unser Land«. Angesichts der Tatsache, dass die Anzahl der Tötungsdelikte durch Linke in jüngster Zeit bei Null liegt, während die Todesopfer rechtsextremer Gewalt ganze Statistikbände füllen, eine durchaus fragwürdige Analyse.

Auch sonst ist vom Verfassungsschutz wenig Neues zu erfahren: Dass Rechtsextreme meist nicht mehr mit Springerstiefeln daherkommen, sondern »im intellektuellen Gewand«, dürfte seit der Jahrtausendwende niemanden mehr überraschen. Und die Tipps über den richtigen Umgang mit Mitarbeiter*innen, die sich radikalisieren, wirken angesichts der personellen Verstickungen des Geheimdienstes mit der rechtsextremen Szene eher deplatziert.

Viel wichtiger als die Inhalte scheint an diesem Tag ohnehin die Botschaft des Zusammenhalts zu sein: »Wir müssen an einem Strang ziehen«, so Verfassungsschützer Stelen in Richtung der überwiegend weißen und männlichen Konzernvertreter. »Wir verstehen uns in dem Zusammenhang als Ihr Dienstleister und stehen Ihnen mit Rat und Tat zur Seite.«

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