Algeriens Präsident tritt zurück

Die Straße feiert: Nach wochenlangen Massenprotesten hat das 82-jährige Staatsoberhaupt sein Amt abgegeben

  • Lesedauer: 3 Min.

Algier. Nach wochenlangen Massenprotesten ist Algeriens Präsident Abdelaziz Bouteflika mit sofortiger Wirkung zurückgetreten. Der 82-jährige Staatschef habe dem Verfassungsrat mitgeteilt, dass er »am heutigen Tag« sein Amt niederlege, meldete das Staatsfernsehen am Dienstagabend. Zuvor hatte auch das Militär massiv auf ein Ende der 20-jährigen Amtszeit Bouteflikas gedrängt. Die Verfassung sieht vor, dass nun der Vorsitzende des Oberhauses des Parlaments vorläufig die Amtsgeschäfte übernimmt.

Auch die staatliche Nachrichtenagentur APS meldete den Rückzug des seit 1999 amtierenden Präsidenten. Dieser habe den Verfassungsrat in einem Schreiben über seine Entscheidung unterrichtet und den Schritt mit Verweis auf die jüngsten Unruhen in Algerien begründet. Mit seinem Rückzug wolle er zur »Befriedung der Herzen und Gemüter« seiner Landsleute beitragen, schrieb Bouteflika demnach.

In der Hauptstadt Algier ertönten nach der Ankündigung Autohupen. Hunderte Menschen gingen spontan auf die Straße und feierten mit Algerien-Fahnen den Rücktritt des zuletzt stark in die Defensive geratenen Präsidenten.

Zuvor hatte Armeechef und Vize-Verteidigungsminister Ahmed Gaid Salah einen »unverzüglichen« Beginn des in der Verfassung vorgesehenen Amtsenthebungsverfahrens gegen Bouteflika gefordert. Salah war lange Jahre ein enger Verbündeter des Staatschefs.

Seit Wochen protestierten Hunderttausende Menschen im ganzen Land gegen den 82-jährigen Präsidenten und dessen Machtelite. Zunächst hatte Bouteflika darauf reagiert und Reformen angekündigt, gleichzeitig aber auch die für Mitte April angesetzte Präsidentschaftswahl verschoben und seine Amtszeit damit auf unbestimmte Zeit verlängert. Auch dagegen hatte es Proteste gegeben.

Der Präsident des Oberhauses, der laut algerischer Verfassung nun interimsmäßig das Amt des Staatsoberhauptes übernehmen muss, ist Abdelkader Bensalah, ein alter Weggefährte Bouteflikas. Der 77-jährige ist seit 17 Jahren im Amt. Binnen 90 Tagen muss ein neuer Präsident gewählt werden. Eine offizielle Erklärung seitens der algerischen Staatsorgane gab es zunächst nicht.

Auch aus europäischer Sicht ist der Machtkampf in Algerien wichtig: Mehr als zwölf Prozent der EU-Gasimporte stammen von dort. Allerdings kämpft das Land mit wirtschaftlichen Problemen und leidet unter dem Preisverfall beim Öl. Die Wirtschaft Algeriens ist von Gas- und Ölexporten dominiert. Die Staatsverschuldung liegt nach Angaben der deutschen Wirtschaftsförderungsgesellschaft GTAI bei fast 39 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Arbeitslosenquote gerade bei jungen Hochschulabsolventen ist hoch.

Bouteflika war 1999 als Wunschkandidat des algerischen Militärs zum Präsidenten gewählt worden. In den vergangenen Tagen hatte sich die Militärspitze aber zusehends von dem gesundheitlich angeschlagenen Bouteflika zurückgezogen. Erst kurz vor der Bekanntgabe des Rücktritts hatte Generalstabschef Ahmed Gaid Salah erneut darauf hingewiesen, dass Bouteflika für amtsunfähig erklärt werden müsse. »Wir unterstützen das Volk, bis dessen Forderungen komplett erfüllt sind«, hieß es in einer Erklärung des Verteidigungsministeriums. Militärchef Gaid Salah ist zudem stellvertretender Verteidigungsminister.

Auch mehrere algerische Oppositionsparteien hatten nach einem spontanen Treffen am Dienstag den sofortigen Rücktritt Bouteflikas gefordert. In einer Erklärung teilten die Parteien, zu denen auch die beiden größten islamistischen Parteien zählten, mit, dass sie keine der aktuell getroffenen Entscheidungen der Staatsführung akzeptieren würden. Dazu zähle auch die Einsetzung einer neuen Regierung am Wochenende.

Erst am Sonntag war der 59 Jahre alte Noureddine Bedoui offiziell zum Ministerpräsidenten Algeriens ernannt worden. Bedoui hatte Mitte März eine Regierung aus Technokraten versprochen, in der alle politischen Spektren vertreten sein sollten. Zahlreiche Politiker lehnten aber ab, in die Regierung einzutreten. Die anschließenden Proteste richteten sich auch gegen seine Ernennung zum Regierungschef. nd/Agenturen

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -